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04.05.22

Wo die Wölfe sind | Charlotte McConaghy (Ü: Tanja Handels)


 

Inti Flynn kommt nach Schottland, um Wölfe in den Highlands wiederanzusiedeln. Als Wissenschaftlerin weiß sie, dass die wilden Tiere die einzige Rettung für die zerstörte Landschaft sind. Als Frau hofft sie auf einen Neuanfang. Sie ist nicht mehr die, die sie einst war, hat sich von den Menschen zurückgezogen. Denn die Wolfsbiologin besitzt die seltene Fähigkeit, Gefühle von anderen Lebewesen körperlich nachzuempfinden. Als ein Farmer tot aufgefunden wird und eine Hetzjagd auf ihre Tiere beginnt, muss sie sich ihren Ängsten stellen: Ist der Wolf oder der Mensch die Bestie in den Wäldern? Und wird sie je wieder menschliche Nähe zulassen können – oder von der Wildnis verschlungen werden, die sie retten will?

»Wo die Wölfe sind« ist die fesselnde Geschichte über die bedrohten Orte und Geschöpfe unserer Erde und die Macht der Empathie.
(Text & Cover: ©S. Fischerverlage; Foto: © N. Eppner)

"Wo die Wölfe sind" ist der zweite Roman von Charlotte McConaghy, die mich bereits mit ihrem Debüt "Zugvögel" begeistern konnte. Die Geschichte über die Wolfsbiologin Inti Flynn hat mich noch mehr berührt, auf einer tieferen Ebene. Ihre Geschichte und Inti sel
bst, die spürt, wie sehr sie mit der Natur verwurzelt ist. Die weiß, dass wir alle der Natur entstammen und deshalb dort zur Ruhe kommen, zu uns selbst finden.

Inti Flynn ist rau. Die Vergangenheit hat sie dazu gemacht. Ihre Erfahrung mit Menschen. Draußen im Wald ist sie eine andere. Eine sanftere Person. Die Natur macht sie zu einer Person, die sich kümmert. Zum Beispiel um die Wölfe, deren Aussiedlung in Schottland sie überwacht. Aber auch um die scheinbar Schwachen, diejenigen die Ungerechtigkeit und Brutalität ausgesetzt sind. Ihre eigene Biografie zwingt sie dazu. 

Welche Erfahrungen Inti in ihrem Leben durchlief, bleibt lange ein Geheimnis. McConaghy spielt geschickt mit ihren Leser*innen, lässt sie ahnen und zappeln. Ganz sicher ist etwas schlimmes passiert. Ihr Verhalten zeugt davon. Lässt sie mehr auf die Wölfe vertrauen, als auf Menschen. Doch als sie einen toten Mann im Wald findet, wird ihr Vertrauen bis ins Mark erschüttert. Der Spannungsbogen wird so angezogen, dass es kaum möglich ist, das Buch aus der Hand zu legen und gleichzeitig möchte ich nicht, dass die Geschichte endet. Ich möchte Inti nicht verlassen, nicht die Wälder, nicht die Wölfe.

>>"Es gibt viel Grausamkeit, die wir überstehen, gegen die wir ankämpfen müssen, aber vor allem gibt es auch Sachtheit, unsere Wurzeln reichen tief und sind miteinander verflochten. Das tragen wir in uns, das nehmen wir immer mit, diese Art, wie wir uns umeinander kümmern."<<

Charlotte McConaghy hat mich so tief berührt, dass ich während des Lesens ganz oft Gänsehaut hatte. Es ist die schöne Sprache, mit der sie ihren Roman schreibt, aber auch die Geschichte selbst, die etwas aus mir herausholt, das manchmal im Alltag verdrängt wird. Meine eigene Verbundenheit zur Natur. Mein Wunsch nach Freiheit draußen im Wald, auf dem Berg, zwischen Bäumen, Bachläufen und Tieren.

McConaghy schreibt im Nachwort "Ich habe dieses Buch aus dem tiefen Schmerz heraus geschrieben, dass unsere Natur uns verlorengeht". Diesen Schmerz habe ich so deutlich gespürt, dass er auch dann präsent war, wenn ich das Buch zur Seite gelegt habe. Und ich wünsche mir sehr, dass es auch anderen so geht. Dass die Autorin unsere Empathie fördern kann und uns sensibilisiert dafür, dass wir die Schönheit der Natur wieder deutlicher sehen, dass wir weniger egoistisch handeln und nicht auf Kosten anderer leben. 

Wenn ich an besondere Bücher denke, die immer im Kopf und im Herzen bleiben, reiht sich "Wo die Wölfe sind" mühelos in die Liste ein. Es ist das, was mich im Herzen trifft, aber auch das, was sonst noch aus dem Roman spricht. Dass wir die Wahl haben, uns zu entscheiden gut zu handeln oder den Dämonen freien Lauf zu lassen, dass Gut und Böse immer eine genauere Betrachtung benötigt, und dass wir nicht zu vorschnell urteilen. All das ist in eine spannende Geschichte mit unfassbar starkem Sog verpackt und eine absolute Leseempfehlung.


Buchinfo:
S. Fischerverlage (2022)
432 Seiten
Gebundene Ausgabe 22,00 €


Rezensionen: ©2022, Nanni Eppner

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