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30.08.24

Alle wissen hier alles | Mareike Krügel


 

Martina Voß kennt sich aus mit den nicht so schlimmen Kleinigkeiten, die einer Frau zustoßen können. Deshalb nimmt sie ohne lange nachzudenken Kasia und ihre Tochter auf. Platz hat sie in ihrem großen Haus, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat.

Außerdem ist Sommer, und die Welt verliert ihre Ecken und Kanten, wenn die beiden Frauen Apfelsaft mit Wodka trinken. Aber lange kann das nicht gutgehen. Denn im Dorf wissen immer alle alles.

Zielstrebig und intelligent, ohnmächtig und töricht: Als unzuverlässige Erzählerin bietet diese Heldin keine einfachen Wahrheiten an. Ein Roman der leisen, fast unbewussten Revolte und eine verunsicherte Heldin, die uns unrettbar in ihre Welt mitnimmt.
(Text & Cover: Piper; Foto: N. Eppner)

Frau kennt diese Art Wunden, erkennt sie, wenn eine andere Frau sagt, sie sei gegen einen Schrank gelaufen. Die Treppe herunter gefallen. Sie sei nun mal tollpatschig. Das Abwerten der eigenen Person, das sich so normal anfühlt, weil es ihnen ständig vom Gegenüber vor Augen geführt wird. Auch Martina weiß, wie es ist der körperlichen Überlegenheit eines Mannes ausgeliefert zu sein und weil sie vielleicht auch noch so ein kleines ungesundes Helfersyndrom hat, nimmt sie Kasia kurzerhand mit nach Hause, als diese morgens mit einem dicken Bluterguss vor der Stirn die Tochter in den Kindergarten bringt.

Damit zieht Martina eine Kettenreaktion in Gang, mit der sie nicht gerechnet hat. Einem Mann einfach so die Frau nehmen, für deren Unterdrückung er jahrelang gearbeitet hat. Wo kommen wir denn da hin? Was Mareike Krügel mit Sarkasmus versucht aufzulockern, fühlt sich dennoch beklemmend an. Weil so viel Realität darin steckt. So viel: ja, so könnte es tatsächlich laufen. So viel: ja so mahlen die Mühlen des Patriarchats.

Martina und Kasia sind Opfer der männlichen Macht auf verschiedenen Wegen. Man glaubt ihnen weniger, als den Männern, sie werden gemieden und auch innerhalb der Frauenbeziehungen, die sie über die letzten Jahre aufgebaut haben, gibt es sie: die Strukturen des Patriarchats, die dafür sorgen, dass Frauen nicht nur hilfsbereit aufeinander zu gehen und sich unterstützen, sondern dass eine Kluft zwischen sie getrieben wird. Aus der Ohnmacht wird die Wut aufeinander, das Misstrauen gegenüber anderen Frauen, statt Verbundenheit ausleben zu können.

Es war beklemmend zuzusehen, wie Martina und Kasia immer mehr Selbstbestimmung entzogen wurde, wie sie mehr oder weniger gezielt manipuliert wurden, wie ich mit ansehen musste, wie sie ins Verderben laufen, ohne etwas dagegen tun zu können. Wie man ihre Aussagen gegen sie verwendete, weil man modern denken will und gleichzeitig so altmodisch darin verharrt, was schon immer irgendwie funktioniert hat. Veränderung, Auflehnung kostet Kraft.

Mareike Krügel zeigt hier Strukturen auf, in denen wir uns alle befinden. Frauen wie Männer in unterschiedlicher Form. Um aus der Opferrolle in die Selbstermächtigung zu kommen, bedarf es Bücher wie diese, die unser Wissen erweitern, unseren Blick schulen für die Situationen, in den wir klein gehalten werden, in denen das Patriarchat um seinen Verlust an Kontrolle bangt. Gut, dass wir Bücher mit solchen Geschichten, Bücher von Frauen haben, die uns mit Wissen, mit Aufklärung, ein Werkzeug an die Hand geben, das fundamental wichtig ist, um etwas zu verändern. 


Buchinfo:

208 Seiten
Hardcover 22,00 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner

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