11.09.14

Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte - Crystal Chan



"Großvater hörte an dem Tag auf zu sprechen, an dem er meinen Bruder John tötete."

John ist 5 Jahre alt, als er stirbt. Er sprang von einer Klippe, versuchte zu fliegen. Schuld daran ist Großvater, denn der hat ihm den Spitznamen "Bird" gegeben. Bird, das kleine muntere Vögelchen. Die Geister seines Namens haben sich ihm angenommen und ihn dazu gebracht fliegen zu wollen. Genau an dem Tag, als Jewel geboren wurde. Das freudige Ereignis steht seitdem immer unter dem Schatten, der schweren Last, dessen, was an dem Tag mit Bird passierte. Immer liegen die Gedanken an ihn oben auf, so dass Jewel nicht dazu kommt mal Oberhand zu gewinnen. Erdrückt wird sie von Bird und seinem Tod. Und auch der Rest der Familie vergisst seitdem zu leben.

"Wo war all diese Freude geblieben, und wohin ging sie, wenn sie deine Familie verließ? Zog sie weiter zu einer anderen Familie, versickerte sie in der Erde oder löste sie sich in Luft auf, so wie Atemwolken im Winter? Und wenn sie nicht einfach verschwand, warum war dann nichts für mich übrig?"

Jewels Familie versinkt so sehr in Trauer, dass sie Jewel zu übersehen scheinen. Das Mädchen steht ganz alleine da mit Trauer, Sorgen und all den Dingen, die ihr in der Welt passieren. Sie kennt ihre Familie nicht richtig, weiß nichts über die Zeit vor Johns Tod. Wer ist der Mann, der sich Großvater nennt und kein Wort spricht? Jewels Eltern haben über all die Trauer verlernt die schönen Dinge des Lebens zu erkennen und vor allem haben sie verlernt zu lieben. Jewel, ihren Ehepartner und sich selbst.

"Man hätte fast meinen können, wir hätten Angst vor Worten. Sie hingen unausgesprochen in der Luft und wenn sie merkten, dass sie nicht gebraucht wurden, schrumpelten sie in sich zusammen und starben."

Jewel muss allein klar kommen und Krisenkompetenzen entwickeln. Ihre Helfer in der Trauer sind Steine. Ihnen vertraut sie ihre Sorgen und Wünsche an, doch dann taucht ein Junge auf, der nicht nur interessant aussieht, sondern auch noch den Namen ihres verstorbenen Bruders trägt. Das kann einfach kein Zufall sein, denn schließlich sagt der Vater ja immer, dass es im Leben keine Zufälle gibt.



"Die Partner in einem Doppelsystem veränderten einander für die Ewigkeit, genauso wie Bird mich verändert hatte und dann Eugene und Großvater und wahrscheinlich noch viele weitere Menschen in der Zukunft, die ich noch gar nicht kennengelernt hatte."

Im Roman spielen Geister eine große Rolle. Jewels Ahnen stammen von Jamaica, wo man an gute und böse Geister glaubt. Der Vater hält an diesem Glauben fest, versucht die Familie vor bösen Geistern, den "Duppys" zu schützen. Seit Birds Tod mehr denn je. Geister können viele Gesichter haben und auf vielerlei Weise Einfluss nehmen. Die Geister der Vergangenheit belasten Jewels Familie am meisten. Sie spuken in den Köpfen von Großvater und Jewels Eltern herum, stellen immer wieder die Frage, warum solch schreckliche Dinge wie Birds Tod überhaupt geschehen, machen Vorwürfe und Schuldzuweisungen, und lassen dabei überhaupt keinen Raum für Menschen und Erlebnisse der Gegenwart. Zum Glück erkennt Jewel, dass es an der Zeit ist gegen diese Geister anzukämpfen.

"Ich hatte Großvater nie wirklich als Menschen mit Gefühlen gesehen - er war ja immer so still, also hatte ich wohl angenommen, dass es sich mit seinem Herzen ebenso verhielt. Aber offenbar hatte ich mich da geirrt."

"Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" ist der sehr berührende Debütroman der Autorin Crystal Chan, die über die Magie des Schicksals schreibt und dabei selbst zu einer Magierin wird, indem sie all ihre Leser mit wundervollen Worten verzaubert. Erzählt wird aus der Perspektive der zwölfjährigen Jewel, die einen ganz eigenen, sehr klugen Blick auf die Welt, ihr eigenes Universum hat, und die mit ihrer Herzlichkeit in diesem Sommer ganze Scharen Leser begeistert hat. Mit ihrer natürlichen Art hat sie etliche Leserherzen im Flug erobert. Man hat Mitleid mit ihr, bewundert sie aber für all den Mut, den sie in ihrer Situation aufbringt. Sich eben den Geistern zu stellen, nicht aufzugeben und das einzufordern, was ihr zusteht: Liebe und Aufmerksamkeit.

"Papa sagte immer, dass Regenbogenspaziergänge nährten die Seele, genauso wie die Blumen und die Flüsse."

Nicht nur Crystal Chan ist Debütantin, sondern auch der Verlag, der ihre wundervolle Geschichte veröffentlicht hat. Magellan - der Verlag mit dem Wal hat dieses Herzenswerk über Tod, Liebe, Freundschaft und Verlust in ein Gewand verpackt, dass perfekt dazu passt. Bunt, herzlich und liebevoll gestaltet wird es somit auch optisch zu einem Highlight, das in jedem Bücherregal stehen sollte.

Buchinfo:


Hardcover
ab 11 Jahren
304 Seiten
14,95 €
Übersetzerin: Sandra Knuffinke und Jessika Komina

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