08.10.24

Yrsa. Journey of Fate | Alexandra Bröhm (Eine Wikingerin Bd. 01)





Yrsa ist eine junge Wikingerin, die sich seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Schmerzvoll haben die beiden ihre Mutter verloren. Als Yrsa eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu: durch dunkle Wälder, auf ihren Fersen ein Mann, der sie aufhalten will. Doch Yrsas Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Und dies hier wird ihr erster Kampf sein: gegen die unwirtliche Natur, gegen Männer, deren Geheimnisse sie nicht aufdecken soll, für den Glauben an das Gute. Und für die Liebe zu dem jungen Krieger Avidh.
(Text & Cover: Ullstein; Foto: N. Eppner)

War das ein Lesevergnügen! Obwohl natürlich nicht alles vergnüglich ist auf Yrsas Reise, in Yrsas Welt, einer Zeit, in der Frauen wenige Rechte hatte. Wobei ich doch erstaunt war, welch hohen Stellenwert die Frauen der Wikinger hatten. Zumindest diejenigen, die mit einem Mann verheiratet waren. Am besten mit einem, der was taugt. Anpacken oder kämpfen kann.

So eine Frau möchte Yrsa nicht sein. Nicht werden, obwohl der Schmied Njáll ihr attraktive Angebote macht. Yrsa möchte eine Kriegerin werden. Nicht hilflos sein, nicht abhängig, sondern kraftvoll. Und selbstbestimmt leben und durchs Land ziehen können. Zum Kämpfen kommt sie schneller als geplant, als ihr Bruder Sjalfi verschwindet und sie sich auf die Suche nach ihm macht. Diese wird ihr vor allem durch Njáll erschwert, der so begeistert ist vom Gedanken eine junge Frau wie Yrsa als sein Eigentum bezeichnen zu können, dass er alles mögliche in Gang setzt, um Yrsa zu Finden und zurückzuholen. Im Notfall mit Gewalt.

Yrsa ist eine weibliche Figur, die sowohl in ihre Zeit passt, als auch in die Moderne zu transferieren ist. Sie setzt sich zur Wehr gegen patriarchale Strukturen, die ihr auf vielfältige Weise begegnen. Yrsa trotzt ihnen aus eigener Stärke heraus und dem Willen ihren Weg zu gehen und holt ihre Stärke nicht - wie so oft in historischen oder fantastischen Romanen - aus den Verletzungen, die ihr zugeführt werden und das gefällt mir besonders. Sie ist nicht frei von Narben und Scham, die ihr durch Männer zugefügt wurde, aber ihre Kraft trägt sie in sich und dort holt sie diese auch heraus, um ihren eigenen Weg zu gehen.

Historikerin Alexandra Bröhm erzählt eine gut recherchierte und authentisch erzählte Geschichte einer jungen Frau, in die sie die Traditionen und Gebräuche, sowie den Lebensstil der Menschen zur Zeit der Wikinger mit einfließen lässt. Das macht den Roman so wunderbar lebendig und äußerst spannend. Passend zum Buch postet Alexandra Bröhm auf ihrem Instagramkanal kleine Beiträge über die historischen Fakten, die im Roman verarbeitet werden. Sehr spannend und informativ.

"Yrsa. Journey of Fate" ist für mich in diesem Jahr ein Highlight im Genre historische Romane und ich freue mich sehr, dass es einen weiteren Band geben wird, der voraussichtlich im Juli 2025 erscheinen wird.


Buchinfo:

592 Seiten 
Paperback 17,99 €
eBook 14,99 €

30.08.24

Alle wissen hier alles | Mareike Krügel


 

Martina Voß kennt sich aus mit den nicht so schlimmen Kleinigkeiten, die einer Frau zustoßen können. Deshalb nimmt sie ohne lange nachzudenken Kasia und ihre Tochter auf. Platz hat sie in ihrem großen Haus, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat.

Außerdem ist Sommer, und die Welt verliert ihre Ecken und Kanten, wenn die beiden Frauen Apfelsaft mit Wodka trinken. Aber lange kann das nicht gutgehen. Denn im Dorf wissen immer alle alles.

Zielstrebig und intelligent, ohnmächtig und töricht: Als unzuverlässige Erzählerin bietet diese Heldin keine einfachen Wahrheiten an. Ein Roman der leisen, fast unbewussten Revolte und eine verunsicherte Heldin, die uns unrettbar in ihre Welt mitnimmt.
(Text & Cover: Piper; Foto: N. Eppner)

Frau kennt diese Art Wunden, erkennt sie, wenn eine andere Frau sagt, sie sei gegen einen Schrank gelaufen. Die Treppe herunter gefallen. Sie sei nun mal tollpatschig. Das Abwerten der eigenen Person, das sich so normal anfühlt, weil es ihnen ständig vom Gegenüber vor Augen geführt wird. Auch Martina weiß, wie es ist der körperlichen Überlegenheit eines Mannes ausgeliefert zu sein und weil sie vielleicht auch noch so ein kleines ungesundes Helfersyndrom hat, nimmt sie Kasia kurzerhand mit nach Hause, als diese morgens mit einem dicken Bluterguss vor der Stirn die Tochter in den Kindergarten bringt.

Damit zieht Martina eine Kettenreaktion in Gang, mit der sie nicht gerechnet hat. Einem Mann einfach so die Frau nehmen, für deren Unterdrückung er jahrelang gearbeitet hat. Wo kommen wir denn da hin? Was Mareike Krügel mit Sarkasmus versucht aufzulockern, fühlt sich dennoch beklemmend an. Weil so viel Realität darin steckt. So viel: ja, so könnte es tatsächlich laufen. So viel: ja so mahlen die Mühlen des Patriarchats.

Martina und Kasia sind Opfer der männlichen Macht auf verschiedenen Wegen. Man glaubt ihnen weniger, als den Männern, sie werden gemieden und auch innerhalb der Frauenbeziehungen, die sie über die letzten Jahre aufgebaut haben, gibt es sie: die Strukturen des Patriarchats, die dafür sorgen, dass Frauen nicht nur hilfsbereit aufeinander zu gehen und sich unterstützen, sondern dass eine Kluft zwischen sie getrieben wird. Aus der Ohnmacht wird die Wut aufeinander, das Misstrauen gegenüber anderen Frauen, statt Verbundenheit ausleben zu können.

Es war beklemmend zuzusehen, wie Martina und Kasia immer mehr Selbstbestimmung entzogen wurde, wie sie mehr oder weniger gezielt manipuliert wurden, wie ich mit ansehen musste, wie sie ins Verderben laufen, ohne etwas dagegen tun zu können. Wie man ihre Aussagen gegen sie verwendete, weil man modern denken will und gleichzeitig so altmodisch darin verharrt, was schon immer irgendwie funktioniert hat. Veränderung, Auflehnung kostet Kraft.

Mareike Krügel zeigt hier Strukturen auf, in denen wir uns alle befinden. Frauen wie Männer in unterschiedlicher Form. Um aus der Opferrolle in die Selbstermächtigung zu kommen, bedarf es Bücher wie diese, die unser Wissen erweitern, unseren Blick schulen für die Situationen, in den wir klein gehalten werden, in denen das Patriarchat um seinen Verlust an Kontrolle bangt. Gut, dass wir Bücher mit solchen Geschichten, Bücher von Frauen haben, die uns mit Wissen, mit Aufklärung, ein Werkzeug an die Hand geben, das fundamental wichtig ist, um etwas zu verändern. 


Buchinfo:

208 Seiten
Hardcover 22,00 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner

02.08.24

Cascadia | Julia Phillips (Übersetzung: Silvia und Roberto de Hollanda)



 

Auf einer Insel im Nordwesten der USA lebt Sam mit ihrer Schwester Elena und der schwerkranken Mutter in ärmlichen Verhältnissen. Sam arbeitet auf der Fähre, die die wohlhabenden Urlauber zu ihren Feriendomizilen bringt, während Elena im Golfclub kellnert. Sie beide träumen von einem besseren Leben, davon, woanders neu anzufangen.Dann, eines Nachts, erblickt Sam einen Bären, der durch die dunklen Gewässer vor der Küste schwimmt. Noch kann sie nicht ahnen, dass das wilde Tier die Welt der beiden Schwestern aus den Angeln heben und ihren lang gehegten Traum in Gefahr bringen wird.
(Text & Cover: Hanserblau, Foto: N. Eppner)

Zwei Schwestern, die als Symbiose zusammenleben. Elena, diszipliniert, verantwortungsbewusst, autonom, sorgt für die kranke Mutter und erarbeitet Geld, um der jüngeren Schwester das College zu finanzieren. Sam, die im Gegensatz zu Elena verlorener wirkt, die ihre Mutter liebt, aber deren Versorgung nur rudimentär auf dem Schirm hat und die entgegen der Absprache, dass sie zwei Schwestern niemanden in ihr Leben lassen und sich nur aufeinander stützen, mit einem Kollegen schläft.

Dann kommt der Bär. Schleicht sich in das Leben der zwei Schwestern, zwischen die beiden. Kratzt an der Fassade des Hauses und auch an der ihrer Schwesternschaft. Elena ist fasziniert, überwältigt von seiner Kraft, seiner Eleganz und der Tatsache, dass sie sich ihm nähern kann. Sie hat keine Angst, spürt nur Ehrfurcht und Verbundenheit. Sam hat das Gefühl ihre Schwester an den Bären zu verlieren. Wendet sich gegen ihn und damit gegen Elena. Ein ungeahnter Strudel wird in Bewegung gesetzt, der genau das bewirkt, was Sam versucht zu verhindern.

Die Atmosphäre des Buches passt zur Schwüle diesen Sommers. Schwer lastet die Spannung zwischen den beiden Schwestern, die sich mehr und mehr aufbaut, auf den Lesenden. Es braut sich etwas zusammen, das sich irgendwann entladen wird, entladen muss. Die Gefahr rollt wie ein krachender Donner über die Familie hinweg und reißt am Ende wen mit.

Julia Phillips spannt das komplexe, schwierige Netz auf dem Familiensysteme oftmals aufgebaut sind, hier auf der Geschichte zweier Schwestern auf, die sich augenscheinlich so nah sind, das kein Staubkorn zwischen sie passt und doch ihrer Wege gehen müssen, da es nun mal so ist, dass Menschen individuell sind und ihre Freiräume brauchen. Den Bär als Mittel zum Zweck zu nutzen das ganze System unter Spannung zu setzen, bis es zerreißt, hat mir ebenso gut gefallen wie der Gedankenanstoß was Nähe und Vertrauen ausmacht. Was Familie und Geschwister sein bedeutet. Aufopferung? Oder Loslassen? Kann ein System funktionieren, dass sehr eng ist, aber Komponenten darin getrieben sind vom Wunsch nach Freiheit? Eine spannende Umsetzung vor der Kulisse des Nordwesten der USA mit dem rauen Touch der Natur, der von uns so gern romantisiert wird. Als kleine Kritik bleibt mir zu sagen, dass die Autorin mich emotional wenig erreicht hat und ich mit eher flachen Gefühlen gegenüber dem Roman zurückbleibe.


Buchinfo:

272 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
23,00 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner

30.06.24

#dickebüchercamp 2024




 Alle Jahre wieder...

... packen wir im Juni die Koffer, um im Juli ins #dickebüchercamp einzuziehen. Das war mal so eine verrückte Idee von Marina, um den dicken Büchern im Regal mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ich muss sagen ich finde die Sommermonate eher ungünstig für dicke Bücher, weil ich selbst die im Herbst oder Winter bevorzuge, aber trotzdem bin ich jedes Jahr - mehr oder weniger erfolgreich - dabei. 

Für dieses Jahr habe ich mir ganz optimistisch 4 Bücher rausgesucht. Ich liebe es ja Listen zu machen und ich liebe es genau so sehr diese wieder über den Haufen zu werfen und etwas ganz anderes zu tun. Zum Bsp. ganz andere Bücher zu lesen. 

Prinzipiell möchte ich mit "Die verborgene Stadt Percepliquis", dem sechsten und letzten Band der "Riyria"-Reihe beginnen, denn diese Serie möchte ich eigentlich schon seit einem halben Jahr abschließen.

Als weiteren Fantasyroman habe ich mir "Die Stadt aus Messing" von S.A. Chakraborty übersetzt von Kerstin Fricke, rausgesucht. Ich freue mich darauf, weil Steffi das Buch schon oft empfohlen hat und auch auf das orientalische Setting, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das Buch nicht doch noch mal gegen etwas leichteres austausche (also leichter vom Schreibstil, nicht vom Gewicht, denn mind. 500 Seiten sind Pflicht, um am #dickebüchercamp teilnehmen zu dürfen).

"Demon Copperhead" von Barbara Kingsolver, übersetzt von Dirk van Gunsteren, musste ich unbedingt kaufen, weil ich dem Hype darum nicht entgehen konnte. Meine Freundin Sarah, die es ebenfalls sehr mochte, hat es mir auf den Urlaubsstapel gepackt.

Um "Das Gemälde" von Geraldine Brooks übersetzt von Judith Schwaab bin ich in der Buchhandlung ganz oft herum geschlichen. Es ist ein Pferd auf dem Cover...I mean...! Dann habe ich bei Alex gesehen, dass sie es mochte und dank ihrem Zuspruch bin ich dann nochmal in den regionalen Bookstore und habe es adoptiert.

Kennst du das #dickebüchercamp? Bist du vielleicht sogar auch dabei? Wenn ja mit welchen Büchern? Oder packst du jetzt vielleicht noch spontan deine Büchertasche und dein fiktives Zelt und kommst mit auf Reisen?

#dickebüchercamp2018 

#dickebüchercamp2020

#dickebüchercamp2021




26.06.24

Nellie Bly - Journalistin und Vorreiterin für Frauenrechte




Nellie Bly wurde 1864 in Pennsylvania geboren. Als Kind hörte sie auf den Spitznamen Pink, wuchs in einem wohlbehüteten Elternhaus auf, mit vielen Geschwistern und liebevollen Eltern. Als ihr Vater starb, verlor die Familie all ihr Geld und damit auch ihre Sicherheit. Um die Kinder versorgen zu können, heiratete die Mutter erneut. Von diesem Mann, der soff und ihr und den Kindern gegenüber gewalttätig war, ließ sie sich nach ein paar Jahren scheiden. Das war in Pennsylvania tatsächlich schon erlaubt, allerdings lag die Schuld natürlich bei der Frau. Nellie Bly, die damals noch Elizabeth Jane Cochrane hieß, schwor sich niemals von einem Mann abhängig zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen. Durch einen Leserinnenbrief wurde die New York World, die Zeitung von Joseph Pullitzer auf sie aufmerksam. Trotz dem Interesse an ihrem Schreibtalent, musste Nellie Bly dafür kämpfen als Reporterin ernst genommen und nicht in die Abteilung "Kultur" oder so etwas wie Klatsch und Tratsch (Frauenrubriken eben *Augen verdreh*) abgesetzt zu werden. Sie überzeugte mit der Idee über die Nervenanstalt für Frauen Blackwell's Island zu schreiben und dafür als Undercover Journalistin dort zu leben.

So beschreibt es Nicola Attadio in seiner Biografie "Nellie Bly - Die Biografie einer furchtlosen Undercover-Journalistin", die unter anderem auf den Tagebüchern der berühmten Journalistin beruhen. Die Biografie hat einen ganz eigenen, sehr interessanten Schreibstil, durch den wir uns immer wieder in Nellies Gedanken hineinversetzen können. Das lockert das Lesen ein wenig auf, auch wenn die Biografie dieser bewundernswerten Frau sowieso sehr kurzweilig und spannend ist.

Ich wurde aufmerksam auf Nellie Bly, die zwar in ihrem Jahrhundert eine Berühmtheit, mir (und vielen anderen) aber gänzlich unbekannt war, durch den Roman "Reporterin für eine bessere Welt" von Ulrike Fuchs. Darin geht es um Blys Aufenthalt in "Blackwell's Island". Ein unterhaltsamer Einstieg in Blys Leben mit wenig Dramatik und etwas romantisierter, als es vermutlich tatsächlich war. Dennoch wurde ich neugierig auf Nellie Bly und kaufte mir "Miss Bly und die Wette gegen Jules Verne" von Eva-Maria Bast.

Eva-Maria Bast schreibt über Blys Wette die Welt in 75 Tagen, und damit in einem kürzeren Zeitraum als Phileas Fogg, der Held von Jules Vernes Klassiker "In 80 Tagen um die Welt", zu umrunden. Nachdem ich nun auch ihre Biografie gelesen habe, weiß ich, dass Bast sehr gut recherchiert hat und viele Fakten mit eingebaut hat. Ein spannender Roman, weil er viel wissenswertes über Bly, die politischen und gesellschaftlichen Umstände ihrer Zeit und auch ihrer Reise in sich trägt. Insbesondere über Asien hat die Autorin viel berichtet, so dass ein buntes Bild von diesem Kontinent entsteht. 

Es lohnt sich definitiv eins oder alle Bücher über Nellie Bly zu lesen. Eine sehr interessante historische Figur, die sicherlich vielen Frauen Mut machte und den Weg ebnete. Ich wünschte, dass solche weiblichen Vorbilder weniger in Vergessenheit geraten würden, daher sind solche Romanreihen sicherlich eine gute Möglichkeit ihnen Sichtbarkeit zu verschaffen.

11.06.24

Himmelwärts | Karen Köhler (Illustrationen: Bea Davis)


 



Eine einzigartige literarische Stimme, umwerfend komische Dialoge und zwei mitreißende Mädchen voller kluger Ideen – das erste Kinderbuch von Karen Köhler. In einer sternenklaren Sommernacht funken Toni und ihre beste Freundin YumYum mit ihrem selbst gebastelten kosmischen Radio in den Himmel, um Kontakt zu Tonis verstorbener Mutter aufzunehmen. Toni hat große Vermissung, und Weltall-Expertin YumYum hat Experimentierlust. Bestens ausgerüstet – vor allem mit Snacks – erleben die beiden eine Nacht voller Überraschungen. Denn statt der Mutter antwortet ihnen Astronautin Zanna von einer Raumstation. Mit ihr philosophieren sie über das Dasein und die Sehnsucht, aber vor allem über das großartige Leben auf dem Planeten Erde, das uns so viel Trost und Freude schenkt.
(Text & Cover: Hanser; Foto: Nanni Eppner)

Seit ich "Miroloi" gelesen habe, bin ich begeistert von der Sprachkunst Karen Köhlers. Ebenso von ihrem klugen Blick auf die Welt. Der Fähigkeit Themen mit Tiefe mit Leichtigkeit zum Gespräch werden zu lassen, zum Nachdenken anzuregen. 

Mit "Himmelwärts" trifft sie mich persönlich. So wie Tonis Mutter, ist auch meine Mama viel zu früh verstorben. Ich kenne den Struggle, in dem wir zwischen Verlust und Trauer versuchen wieder aufs Leben aufzuspringen, das sich unaufhörlich weiter dreht. Zäh wie Gummi werden die Bewegungen in Trauer. Freundschaften, Beziehungen, Gespräche schwerfällig und so, als spreche man durch eine Glaswand. Vielleicht habe ich deshalb ein paar Tränen verdrückt, denn Karen Köhler hat mein noch immer nicht ganz verheiltes Herz getroffen, gefüttert, ein kleines bisschen gestopft mit ihren klugen Worten, die humorvoll und tröstend sind.

Wie lässt sich die Lücke der Vermissung füllen? Toni und ihre beste Freundin YummYumm haben eine Idee. Sie entwickeln ein kosmisches Radio, mit dem sie Kontakt zu Tonis Mutter aufnehmen können. Heimlich natürlich, denn den Vater würde das wahrscheinlich noch mehr aus der Bahn werfen - auch er ist noch nicht auf den sich weiterdrehenden Erdball aufgesprungen - und YummYumms Mutter ist sowieso überängstlich. Schwierig mit einem Mädchen mit überbrodelnder Abenteuerlust. 





Toni und YummYumm planen ihre Kontaktaufnahme akribisch. Alles ist perfekt. Der Zeitpunkt. Der Vorrat an Süßigkeiten. Die Sternennacht. Doch dann antwortet statt Tonis Mama Astronautin Zanna. Nimmt sich Zeit die Fragen der Mädchen zu beantworten, auch wenn sie nach 8 Minuten wieder aus dem Empfang verschwindet. Toni kann von ihren Gefühlen erzählen. Von ihrem Empfinden, von wut, Trauer und der schrecklichen Vermissung. Das befreit und irgendwie macht es auch Hoffnung. Und Mut. So eine Astronautin im Weltall, das ist schon was besonderes. Etwas richtig cooles. Etwas, das Tonis Herz wieder ein kleines bisschen füllt.

Karen Köhler ist eine sehr großartige, sehr besondere Geschichte über Trauer und Verlust gelungen.  Eine, die ich allen Wünsche, die jemanden verloren haben oder sich einsam fühlen. Denen, die Mut brauchen und denen, die coole Geschichten mögen. Ich liebs mit welcher Lässigkeit hier Grenzen gebrochen werden. Wie Karen Köhler Möglichkeiten aufzeigt und Hoffnung weckt. Wie sie mir als Leserin das Gefühl gibt, selbst etwas großes und einfach Ich sein zu dürfen. 

Bea Davis bringt mit ihren Illustrationen diese wundervolle Geschichte aufs Papier. Ein perfektes Zusammenspiel aus Worten und Bildern, die "Himmelwärts" zu einem kleinen Schatz im Bücherregal werden lässt.




Buchinfo:

Hanser (2024)
192 Seiten
Hardcover 19,00 €
ab 10 Jahren


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner

17.05.24

Sommer ist meine Lieblingsfarbe | Claudia Schaumann




Ava ist 43 und hat alles, wovon sie immer geträumt hat: einen tollen Mann, drei bezaubernde Kinder, drei Hühner und ein wunderschönes Haus in Hamburg Vierlanden, gleich hinter dem Deich. Dennoch fragt sie sich in letzter Zeit immer öfter, ob das schon alles war und ob sie wirklich glücklich ist. Oder ist sie irgendwo falsch abgebogen? Als sie völlig unerwartet eine Nachricht von ihrem Ex-Freund Pinto erhält, wirbelt das ihren Alltag ganz schön durcheinander. Ava entdeckt das Kribbeln im Bauch und ihre Leidenschaft für Farbe und alte Möbel wieder. Und verliebt sich noch einmal ganz neu. In sich selbst – und in ihren Traummann ...
(Text & Cover: Penguin Randomhouse; Foto: N. Eppner)

Ava ist Mutter von drei Söhnen, kümmert sich um Haus, Garten, Kinder, den viel arbeitenden Mann und alles, was zur Care Arbeit dazugehört. Ava ist eine von uns.

Schnell habe ich mich in Protagonistin Ava wiedergefunden. Der Struggle damit eine gute Mutter zu sein, alle dazugehörigen gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen, wie z.B. Schulfest oder Laternebasteln im Kindergarten, und die Kinder immer emotional aufzufangen und zu unterstützen. So viel Arbeit, die weder gesehen, noch bezahlt wird und auch nur selten von "die Liebe der Kinder gibt mir so viel" ausgeglichen wird. Ein Mann, der selbst und ständig arbeitet und selbst die an ihn gestellten strukturellen Anforderungen erfüllen möchte, indem er der Hauptverdiener der Familie ist und dieser ein möglichst gutes Leben bieten möchte.

Der Spagat zwischen all diesen Rollen - Mutter, Arbeitnehmende, Ehefrau usw. - ist so anstrengend, dass es schnell passiert, dass wir uns selbst aus den Augen verlieren. So ergeht es auch Ava, deren Kreativität, mit der sie früher Geld verdient hat und die ihr so viel gibt, darunter völlig begraben liegt. Kein Wunder, dass sie absolut frustriert ist und diese Frustration mit in ihre Beziehungen trägt.

Umso verlockender ist es, dass sich neuerdings ihr Ex-Freund Pinto bei ihr meldet und um ein Treffen bittet. Pinto, bedeutet Abstand vom Alltag, bedeutet Spannung und vor allem Leichtigkeit. Eine Leichtigkeit, die Ava im Alltag gerade fehlt und ganz besonders in ihrer Beziehung zu ihrem Mann. Aber bedeutet das auch, dass ihre Ehe gescheitert ist und sie ihren Mann nicht mehr liebt? 

"Sommer ist meine Lieblingsfarbe" hat mich absolut begeistert. Eine Geschichte, die so sehr aus dem Leben gegriffen ist. Ohne Verschnörkelung und Beschönigungen zeichnet Claudia Schaumann das Bild einer Mutter, wie es heute an der Tagesordnung ist. Getrieben von gesellschaftlichen Anforderungen, im Spagat mit den eigenen Bedürfnissen und denen der Familie, ohne dass äußere Strukturen dem angepasst worden sind, was für uns alle Kampf und Krampf bedeutet: nämlich alles unter einen Hut zu bringen. Es ist kein Wunder, dass unsere Beziehungen, egal welcher Natur, darunter leiden. Es ist einfach nicht alles machbar und wir müssen auch nicht so tun, als ob. Zweifel, Ängste, Wut und Frust sind an der Tagesordnung. Und andererseits ist es meist unsere eigene Entscheidung wie wir damit umgehen.

Und genau das bringt Claudia Schaumann in ihrem Roman so wunderbar auf den Punkt. In einer lesenswerten Kombination aus Leichtigkeit und gleichzeitig ernst nehmen und aufmerksam machen auf eine Situation, der so viele Frauen ausgesetzt sind. Der perfekte Sommerroman, um sich unterhalten zu lassen, aber auch gleichzeitig zu reflektieren, wo wir selbst stehen und an welchem Rädchen wir drehen können, um eine Veränderung herbei zu führen.


Buchinfo:

464 Seiten
Taschenbuch 13,00 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner