30.06.24

#dickebüchercamp 2024




 Alle Jahre wieder...

... packen wir im Juni die Koffer, um im Juli ins #dickebüchercamp einzuziehen. Das war mal so eine verrückte Idee von Marina, um den dicken Büchern im Regal mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ich muss sagen ich finde die Sommermonate eher ungünstig für dicke Bücher, weil ich selbst die im Herbst oder Winter bevorzuge, aber trotzdem bin ich jedes Jahr - mehr oder weniger erfolgreich - dabei. 

Für dieses Jahr habe ich mir ganz optimistisch 4 Bücher rausgesucht. Ich liebe es ja Listen zu machen und ich liebe es genau so sehr diese wieder über den Haufen zu werfen und etwas ganz anderes zu tun. Zum Bsp. ganz andere Bücher zu lesen. 

Prinzipiell möchte ich mit "Die verborgene Stadt Percepliquis", dem sechsten und letzten Band der "Riyria"-Reihe beginnen, denn diese Serie möchte ich eigentlich schon seit einem halben Jahr abschließen.

Als weiteren Fantasyroman habe ich mir "Die Stadt aus Messing" von S.A. Chakraborty übersetzt von Kerstin Fricke, rausgesucht. Ich freue mich darauf, weil Steffi das Buch schon oft empfohlen hat und auch auf das orientalische Setting, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das Buch nicht doch noch mal gegen etwas leichteres austausche (also leichter vom Schreibstil, nicht vom Gewicht, denn mind. 500 Seiten sind Pflicht, um am #dickebüchercamp teilnehmen zu dürfen).

"Demon Copperhead" von Barbara Kingsolver, übersetzt von Dirk van Gunsteren, musste ich unbedingt kaufen, weil ich dem Hype darum nicht entgehen konnte. Meine Freundin Sarah, die es ebenfalls sehr mochte, hat es mir auf den Urlaubsstapel gepackt.

Um "Das Gemälde" von Geraldine Brooks übersetzt von Judith Schwaab bin ich in der Buchhandlung ganz oft herum geschlichen. Es ist ein Pferd auf dem Cover...I mean...! Dann habe ich bei Alex gesehen, dass sie es mochte und dank ihrem Zuspruch bin ich dann nochmal in den regionalen Bookstore und habe es adoptiert.

Kennst du das #dickebüchercamp? Bist du vielleicht sogar auch dabei? Wenn ja mit welchen Büchern? Oder packst du jetzt vielleicht noch spontan deine Büchertasche und dein fiktives Zelt und kommst mit auf Reisen?

#dickebüchercamp2018 

#dickebüchercamp2020

#dickebüchercamp2021




26.06.24

Nellie Bly - Journalistin und Vorreiterin für Frauenrechte




Nellie Bly wurde 1864 in Pennsylvania geboren. Als Kind hörte sie auf den Spitznamen Pink, wuchs in einem wohlbehüteten Elternhaus auf, mit vielen Geschwistern und liebevollen Eltern. Als ihr Vater starb, verlor die Familie all ihr Geld und damit auch ihre Sicherheit. Um die Kinder versorgen zu können, heiratete die Mutter erneut. Von diesem Mann, der soff und ihr und den Kindern gegenüber gewalttätig war, ließ sie sich nach ein paar Jahren scheiden. Das war in Pennsylvania tatsächlich schon erlaubt, allerdings lag die Schuld natürlich bei der Frau. Nellie Bly, die damals noch Elizabeth Jane Cochrane hieß, schwor sich niemals von einem Mann abhängig zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen. Durch einen Leserinnenbrief wurde die New York World, die Zeitung von Joseph Pullitzer auf sie aufmerksam. Trotz dem Interesse an ihrem Schreibtalent, musste Nellie Bly dafür kämpfen als Reporterin ernst genommen und nicht in die Abteilung "Kultur" oder so etwas wie Klatsch und Tratsch (Frauenrubriken eben *Augen verdreh*) abgesetzt zu werden. Sie überzeugte mit der Idee über die Nervenanstalt für Frauen Blackwell's Island zu schreiben und dafür als Undercover Journalistin dort zu leben.

So beschreibt es Nicola Attadio in seiner Biografie "Nellie Bly - Die Biografie einer furchtlosen Undercover-Journalistin", die unter anderem auf den Tagebüchern der berühmten Journalistin beruhen. Die Biografie hat einen ganz eigenen, sehr interessanten Schreibstil, durch den wir uns immer wieder in Nellies Gedanken hineinversetzen können. Das lockert das Lesen ein wenig auf, auch wenn die Biografie dieser bewundernswerten Frau sowieso sehr kurzweilig und spannend ist.

Ich wurde aufmerksam auf Nellie Bly, die zwar in ihrem Jahrhundert eine Berühmtheit, mir (und vielen anderen) aber gänzlich unbekannt war, durch den Roman "Reporterin für eine bessere Welt" von Ulrike Fuchs. Darin geht es um Blys Aufenthalt in "Blackwell's Island". Ein unterhaltsamer Einstieg in Blys Leben mit wenig Dramatik und etwas romantisierter, als es vermutlich tatsächlich war. Dennoch wurde ich neugierig auf Nellie Bly und kaufte mir "Miss Bly und die Wette gegen Jules Verne" von Eva-Maria Bast.

Eva-Maria Bast schreibt über Blys Wette die Welt in 75 Tagen, und damit in einem kürzeren Zeitraum als Phileas Fogg, der Held von Jules Vernes Klassiker "In 80 Tagen um die Welt", zu umrunden. Nachdem ich nun auch ihre Biografie gelesen habe, weiß ich, dass Bast sehr gut recherchiert hat und viele Fakten mit eingebaut hat. Ein spannender Roman, weil er viel wissenswertes über Bly, die politischen und gesellschaftlichen Umstände ihrer Zeit und auch ihrer Reise in sich trägt. Insbesondere über Asien hat die Autorin viel berichtet, so dass ein buntes Bild von diesem Kontinent entsteht. 

Es lohnt sich definitiv eins oder alle Bücher über Nellie Bly zu lesen. Eine sehr interessante historische Figur, die sicherlich vielen Frauen Mut machte und den Weg ebnete. Ich wünschte, dass solche weiblichen Vorbilder weniger in Vergessenheit geraten würden, daher sind solche Romanreihen sicherlich eine gute Möglichkeit ihnen Sichtbarkeit zu verschaffen.

11.06.24

Himmelwärts | Karen Köhler (Illustrationen: Bea Davis)


 



Eine einzigartige literarische Stimme, umwerfend komische Dialoge und zwei mitreißende Mädchen voller kluger Ideen – das erste Kinderbuch von Karen Köhler. In einer sternenklaren Sommernacht funken Toni und ihre beste Freundin YumYum mit ihrem selbst gebastelten kosmischen Radio in den Himmel, um Kontakt zu Tonis verstorbener Mutter aufzunehmen. Toni hat große Vermissung, und Weltall-Expertin YumYum hat Experimentierlust. Bestens ausgerüstet – vor allem mit Snacks – erleben die beiden eine Nacht voller Überraschungen. Denn statt der Mutter antwortet ihnen Astronautin Zanna von einer Raumstation. Mit ihr philosophieren sie über das Dasein und die Sehnsucht, aber vor allem über das großartige Leben auf dem Planeten Erde, das uns so viel Trost und Freude schenkt.
(Text & Cover: Hanser; Foto: Nanni Eppner)

Seit ich "Miroloi" gelesen habe, bin ich begeistert von der Sprachkunst Karen Köhlers. Ebenso von ihrem klugen Blick auf die Welt. Der Fähigkeit Themen mit Tiefe mit Leichtigkeit zum Gespräch werden zu lassen, zum Nachdenken anzuregen. 

Mit "Himmelwärts" trifft sie mich persönlich. So wie Tonis Mutter, ist auch meine Mama viel zu früh verstorben. Ich kenne den Struggle, in dem wir zwischen Verlust und Trauer versuchen wieder aufs Leben aufzuspringen, das sich unaufhörlich weiter dreht. Zäh wie Gummi werden die Bewegungen in Trauer. Freundschaften, Beziehungen, Gespräche schwerfällig und so, als spreche man durch eine Glaswand. Vielleicht habe ich deshalb ein paar Tränen verdrückt, denn Karen Köhler hat mein noch immer nicht ganz verheiltes Herz getroffen, gefüttert, ein kleines bisschen gestopft mit ihren klugen Worten, die humorvoll und tröstend sind.

Wie lässt sich die Lücke der Vermissung füllen? Toni und ihre beste Freundin YummYumm haben eine Idee. Sie entwickeln ein kosmisches Radio, mit dem sie Kontakt zu Tonis Mutter aufnehmen können. Heimlich natürlich, denn den Vater würde das wahrscheinlich noch mehr aus der Bahn werfen - auch er ist noch nicht auf den sich weiterdrehenden Erdball aufgesprungen - und YummYumms Mutter ist sowieso überängstlich. Schwierig mit einem Mädchen mit überbrodelnder Abenteuerlust. 





Toni und YummYumm planen ihre Kontaktaufnahme akribisch. Alles ist perfekt. Der Zeitpunkt. Der Vorrat an Süßigkeiten. Die Sternennacht. Doch dann antwortet statt Tonis Mama Astronautin Zanna. Nimmt sich Zeit die Fragen der Mädchen zu beantworten, auch wenn sie nach 8 Minuten wieder aus dem Empfang verschwindet. Toni kann von ihren Gefühlen erzählen. Von ihrem Empfinden, von wut, Trauer und der schrecklichen Vermissung. Das befreit und irgendwie macht es auch Hoffnung. Und Mut. So eine Astronautin im Weltall, das ist schon was besonderes. Etwas richtig cooles. Etwas, das Tonis Herz wieder ein kleines bisschen füllt.

Karen Köhler ist eine sehr großartige, sehr besondere Geschichte über Trauer und Verlust gelungen.  Eine, die ich allen Wünsche, die jemanden verloren haben oder sich einsam fühlen. Denen, die Mut brauchen und denen, die coole Geschichten mögen. Ich liebs mit welcher Lässigkeit hier Grenzen gebrochen werden. Wie Karen Köhler Möglichkeiten aufzeigt und Hoffnung weckt. Wie sie mir als Leserin das Gefühl gibt, selbst etwas großes und einfach Ich sein zu dürfen. 

Bea Davis bringt mit ihren Illustrationen diese wundervolle Geschichte aufs Papier. Ein perfektes Zusammenspiel aus Worten und Bildern, die "Himmelwärts" zu einem kleinen Schatz im Bücherregal werden lässt.




Buchinfo:

Hanser (2024)
192 Seiten
Hardcover 19,00 €
ab 10 Jahren


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner

17.05.24

Sommer ist meine Lieblingsfarbe | Claudia Schaumann




Ava ist 43 und hat alles, wovon sie immer geträumt hat: einen tollen Mann, drei bezaubernde Kinder, drei Hühner und ein wunderschönes Haus in Hamburg Vierlanden, gleich hinter dem Deich. Dennoch fragt sie sich in letzter Zeit immer öfter, ob das schon alles war und ob sie wirklich glücklich ist. Oder ist sie irgendwo falsch abgebogen? Als sie völlig unerwartet eine Nachricht von ihrem Ex-Freund Pinto erhält, wirbelt das ihren Alltag ganz schön durcheinander. Ava entdeckt das Kribbeln im Bauch und ihre Leidenschaft für Farbe und alte Möbel wieder. Und verliebt sich noch einmal ganz neu. In sich selbst – und in ihren Traummann ...
(Text & Cover: Penguin Randomhouse; Foto: N. Eppner)

Ava ist Mutter von drei Söhnen, kümmert sich um Haus, Garten, Kinder, den viel arbeitenden Mann und alles, was zur Care Arbeit dazugehört. Ava ist eine von uns.

Schnell habe ich mich in Protagonistin Ava wiedergefunden. Der Struggle damit eine gute Mutter zu sein, alle dazugehörigen gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen, wie z.B. Schulfest oder Laternebasteln im Kindergarten, und die Kinder immer emotional aufzufangen und zu unterstützen. So viel Arbeit, die weder gesehen, noch bezahlt wird und auch nur selten von "die Liebe der Kinder gibt mir so viel" ausgeglichen wird. Ein Mann, der selbst und ständig arbeitet und selbst die an ihn gestellten strukturellen Anforderungen erfüllen möchte, indem er der Hauptverdiener der Familie ist und dieser ein möglichst gutes Leben bieten möchte.

Der Spagat zwischen all diesen Rollen - Mutter, Arbeitnehmende, Ehefrau usw. - ist so anstrengend, dass es schnell passiert, dass wir uns selbst aus den Augen verlieren. So ergeht es auch Ava, deren Kreativität, mit der sie früher Geld verdient hat und die ihr so viel gibt, darunter völlig begraben liegt. Kein Wunder, dass sie absolut frustriert ist und diese Frustration mit in ihre Beziehungen trägt.

Umso verlockender ist es, dass sich neuerdings ihr Ex-Freund Pinto bei ihr meldet und um ein Treffen bittet. Pinto, bedeutet Abstand vom Alltag, bedeutet Spannung und vor allem Leichtigkeit. Eine Leichtigkeit, die Ava im Alltag gerade fehlt und ganz besonders in ihrer Beziehung zu ihrem Mann. Aber bedeutet das auch, dass ihre Ehe gescheitert ist und sie ihren Mann nicht mehr liebt? 

"Sommer ist meine Lieblingsfarbe" hat mich absolut begeistert. Eine Geschichte, die so sehr aus dem Leben gegriffen ist. Ohne Verschnörkelung und Beschönigungen zeichnet Claudia Schaumann das Bild einer Mutter, wie es heute an der Tagesordnung ist. Getrieben von gesellschaftlichen Anforderungen, im Spagat mit den eigenen Bedürfnissen und denen der Familie, ohne dass äußere Strukturen dem angepasst worden sind, was für uns alle Kampf und Krampf bedeutet: nämlich alles unter einen Hut zu bringen. Es ist kein Wunder, dass unsere Beziehungen, egal welcher Natur, darunter leiden. Es ist einfach nicht alles machbar und wir müssen auch nicht so tun, als ob. Zweifel, Ängste, Wut und Frust sind an der Tagesordnung. Und andererseits ist es meist unsere eigene Entscheidung wie wir damit umgehen.

Und genau das bringt Claudia Schaumann in ihrem Roman so wunderbar auf den Punkt. In einer lesenswerten Kombination aus Leichtigkeit und gleichzeitig ernst nehmen und aufmerksam machen auf eine Situation, der so viele Frauen ausgesetzt sind. Der perfekte Sommerroman, um sich unterhalten zu lassen, aber auch gleichzeitig zu reflektieren, wo wir selbst stehen und an welchem Rädchen wir drehen können, um eine Veränderung herbei zu führen.


Buchinfo:

464 Seiten
Taschenbuch 13,00 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner

03.05.24

Und alle so still | Mareike Fallwickl





An einem Sonntag im Juni gerät die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren Pflichtgefühl unerschöpflich scheint.

Es ist der Beginn einer Revolte, bei der Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben. Plötzlich steht alles infrage, worauf unser System fußt. Ergreifen Elin, Nuri und Ruth die Chance auf Veränderung?

(Text & Cover: Rowohlt Verlag, Foto: L. Eppner) 


Es sind Frauen, für die ich Coachings anbiete, und pädagogische Fachkräfte. Es ist nicht nur die Not des Personalmangels, die ich dort sehe und auch in meinem eigenen pädagogischen Arbeitsfeld spüre, sondern auch die Not der Frauen, die eingeengt werden, denen das Korsett des Patriarchats, unter anderem in Form von Glaubenssätzen, die Luft abschnürt. 

Eine Mutter muss für ihre Kinder da sein. Das ist Frauenarbeit. Frauen gehören an den Herd. Wer den Haushalt nicht ordentlich führt, ist keine richtige Frau. Wer keine Kinder möchte, ist keine richtige Frau. Wer das Kind per Kaiserschnitt bekommen hat, hat sich nicht genug angestrengt. Wer keinen Mann hat, keine Kinder bekommen konnte, hat sich nicht richtig angestrengt. Wer keine richtige Frau ist und sich nicht richtig anstrengt ist wertlos. 

Das ist nur ein kleiner Auszug dieser Glaubenssätze. Innere Kritiker, die uns Frauen dazu ermuntern uns aufzuopfern. Kleine Teufel, die verlangen, das wir uns verleugnen, alles hinnehmen, was männliche Strukturen uns auferlegen. Ohne den Mund aufzumachen oder noch besser, ohne den Mund gegen diese Strukturen aufzumachen, aber unbedingt gegen andere Frauen. Uns in Konkurrenz zu ihnen sehen. Gegenseitig unter Druck setzen, niedermachen bis wir daran erkranken. Denn Frauengruppen haben eine Stärke, die vom Patriarchat gefürchtet wird.

Das zeigt Mareike in ihrem neusten Roman "Und alle so still", der aktueller nicht sein könnte. Fachkräftemangel in den Care Berufen, weil alle ausgebrannt sind und Frauen, die sich dem entgegen stellen. Oder auch einfach nur zu erschöpft sind, um überhaupt wieder aufzustehen. Ein Gefühl, das jede Mutter, jede Ehefrau, jede Partnerin, jede Pflegekraft, jede pädagogische Fachkraft, kennt.

Mareike zoomt drei verschiedene Biografien aus der Masse. Ruth, die von ihrer Mutter das Pflichtgefühl übernommen hat, weil einer die Drecksarbeit machen muss. Die gelernt hat, dass frau sich nicht zur Wehr setzt und leise und brav alle Aufgaben erfüllt. Nur nicht aus der Reihe tanzen, nur nicht auffallen mit dem Kind, das anders ist, als die anderen und einen Lebensstil erfordert, der körperlich wie geistig erschöpft. Nur nicht klagen. Andere bekommen gar kein Kind. Eben solch ein Leben führt auch Nuris Mutter und er wünscht sich, sie wäre daraus ausgebrochen. Hätte zeigen können was Stärke wirklich bedeutet, um es dann an ihn weiterzugeben. Den Vater dazu bewegen können ein besseres männliches Vorbild zu sein, um vermitteln zu können, dass Stärke nicht bedeutet als Mann keine Gefühle zu zeigen und den ganzen Tag zu schuften, um abends schweigend und erschöpft von der Familie einzufordern, was Familienverbundenheit zum Verstummen bringt. Elins Mutter war anders. Anders als die meisten Mütter. Sie wünscht sich Selbstbestimmung und eine Kämpferin. Doch Elin fühlt sich einsam. Zu allein, um zu kämpfen. Sie braucht Verbindung zu anderen, um sich mit sich selbst verbinden zu können. Und die findet sie. In den Frauen, die dort auf der Straße liegen, wo sie zu erschöpft waren, um aufzustehen oder um zu zeigen was Frauen gemeinsam bewegen können.

Ich habe alle Bücher von Mareike gelesen und bin immer wieder geflasht davon, wie sie immer noch eins oben drauf legt. Sprachlich fand ich "Und alle so still" bombastisch. Inhaltlich eh. Mareike ist ein Vorbild. Eine, an der wir uns orientieren können, wenn wir verunsichert werden. Messerscharf stößt sie ihre Worte bis tief ins Innere. Ich hatte durchweg einen dicken Kloß im Hals und Gänsehaut. Stellenweise habe ich geweint, weil ich all diese Dinge, die im Roman beschrieben werden, so sehr fühle. Bei mir selbst und auch bei den Frauen, mit denen ich arbeite. 

Ich wünsche mir, dass alle dieses Buch lesen. Um zu verstehen. Denn verstehen ist die erste Station auf dem Weg zur Veränderung. Und um ihre Wut in Energie umzusetzen. Um zu kämpfen. Um sich selbst und für andere.


Buchinfo:

Rowohlt (2024)
368 Seiten
Hardcover 23,00 €

Buch Merch
(wie z.B. das T-Shirt vom Foto)


Rezension: Copyright 2024, Nanni Eppner

27.03.24

Sirius | Jonathan Crown



 

Ein außergewöhnlicher Zeitzeuge meldet sich zu Wort: der kleine Foxterrier Sirius. Er wird ins Berlin des Jahres 1938 hineingeboren, als jüdischer Hund im Haushalt der Familie Liliencron. Dies ist seine Lebensgeschichte, angefangen bei den November-Pogromen bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Weltgeschichte – und mittendrin Sirius, der unfreiwillige Held. Erst ist er Emigrant, dann Hollywoodstar, später Zirkusattraktion und schließlich Hitlers Schoßhund. Was für ein Schicksal!

Er trifft sie alle, die Reichen, Schönen, Mächtigen: Fred Astaire, Marlene Dietrich, Billy Wilder, Peter Lorre, Conrad Hilton, Jack Warner, Rita Hayworth, Cary Grant, Eva Braun, John Wayne, Albert Speer, Professor Sauerbruch, Frank Sinatra, Hermann Göring, Fritz Lang, Winston Churchill u.v.a.m.
(Text & Cover: KiWi; Foto: N. Eppner)

Auf Sirius bin ich dank Christine Westermann und Mona Ameziane und ihren Podcast "Zwei Seiten" gestoßen. "Das perfekte Buchgeschenk, insbesondere für Hundeliebhaber*innen", darüber waren die beiden sich einig. Ich verschenkte also und bat darum es nach beenden selbst lesen zu dürfen. 

Die Beschenkte hatte hart daran zu knabbern. Ich wollte ihr eine Freude in einer schweren Zeit machen, aber es war für sie nicht immer einfach, den zweiten Weltkrieg zu ertragen. "Ein Buch das auch Hoffnung gibt", hatte ich Christine Westermanns Stimme im Ohr. Sollte das doch nicht so sein?

Am Sonntag begann ich den Roman, der feine 300 Seiten umfasst und las mich durch die ersten hundert direkt am Stück durch. Was für eine intelligent lässige Sprache, was für ein großartiger ironischer Humor. Kurze griffige Abschnitte. Ganz nach meinem Geschmack. Ich mag es, wenn sich Schreibende der Ironie bedienen, um Tragik und Irrsinn eines Themas zu verdeutlichen. Und wo begegnet uns mehr Tragik und Irrsinn, als im zweiten Weltkrieg? Diese abstrusen Ansichten Hitlers eines sauberen, klugen, besseren Volkes - es ist immer wieder unbegreiflich warum Menschen diese Ideologien für ernst nehmen und ihnen Glauben schenken.

Mit Hilfe von Sirius, der als jüdischer Hund geboren, seinen Namen ändern und fliehen muss, aber zum Held mehrerer Stunden wird, zeichnet Crown ein sarkastisches Bild einer gleichzeitig dunklen, sowie schillernden Ära der Weltgeschichte. Auf der einen Seite Deutschland, das in Schutt und Asche liegt, zertrümmert zum vermeintlichen Wohle des Volkes, auf der anderen Seite Hollywood, glamourös, beeindruckend, aber von ähnlichem Größenwahn und Menschenverachtung befallen. 

Eine spannende Reise durch die Zeit an der Seite des kleinen Hundes und seiner Familie. Trotz Perspektive des Hundes sehr authentisch, da wirklich gut recherchiert und mit historisch belegten Fakten untermalt. Getragen von Ironie und Humor, der Tragödien der Vergangenheit und wer beim Showdown immer noch trockene Augen hat, sollte dringend das Gespräch mit einem Baum suchen (kleiner Sirius Insider).



Buchinfo:

KiWi (2016)
304 Seiten
Taschenbuch 9,99 €


Rezensionen: Copyright 2024, Nanni Eppner

09.02.24

Die Glücksschwindlerin | Nina Hundertschnee



 


Ach du heiliger Hashtag! Wilma Wonnebergs Leben ist das pure Chaos: Job verloren, Freund weg. Nicht einmal ihre spirituell-erleuchtete Freundin Sonne schafft es, die Chakren wieder in Balance zu bringen. Wilma macht sich über Sonnes esoterische Ratschläge eher lustig. Doch Karma is a bitch … Bei einem Treffen mit alten Freundinnen bringt ein kleiner Schwindel Wilma in große Not. Plötzlich ist sie Star-Influencerin Dalia Dolittle und kommt aus der Nummer so schnell nicht wieder raus. Stattdessen stolpert sie von einer Notlüge zur nächsten und landet schließlich als Nominierte bei den German Influencer Awards. Wird ihr Lügengerüst dort zusammenbrechen? Oder wird Wilma nicht nur den Mut zur Wahrheit, sondern auch das Glück in der Liebe finden?
(Text & Cover: Dotbooks; Foto: N. Eppner)

Wilma Wonneberg und ich haben ein paar Gemeinsamkeiten. Z.B. können wir beide nur schlecht Matheaufgaben lösen oder pünktlich sein, andere Dinge haben wir nicht gemein. Z.B.: das Schwindeln. Denn Wilma Wonneberg erschwindelt sich ein komplett neues Leben. 

Aus Frust darüber, dass Wilmas Leben nicht gerade prall läuft (und das ist noch untertrieben), erfindet sie sich kurzerhand ein Neues. Geht ja gar nicht, dass sie beim Klassentreffen beichten muss, dass sie gerade sowohl den Job, als auch den Freund verloren hat. Ein Leben als Influencerin. Das wäre doch was! Und wie sollen ihre alten Freundinnen, die ja auch nicht unbedingt der Generation Instagram angehören, schon merken, dass Dalia Dolittle, die sich in den Sozialen Netzwerken nicht zu erkennen ist, gar nicht Wilma Wonneberg ist? Es kommt wie es kommen muss: Wilma verstrickt sich immer mehr in ihre Lügen. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sie sich nichts sehnlicher wünscht, als wieder zurück zukehren. Wenn da nicht mal ein Mann im Spiel ist...

Auch Autorin Nina Hundertschnee und ich haben etwas gemein und das ist unser Sinn für Humor. Konnte ich es längst bei ihren, in unserer Familie sehr beliebten Kinderbüchern bemerken, wurde es mir von "Die Glücksschwindlerin" noch mal bestätigt. Ich kann sehr gut über Sarkasmus und Übertreibungen lachen (vielleicht sollte ich mal eine Karmareinigung bei Chakrenmeisterin Sonne buchen, wenn mich der Alltag mal wieder allzu verdrießlich werden lässt) und fühle mich von Nina köstlich unterhalten. Trotzdem ist die Geschichte nicht zu 100% meins. Ich mag nicht mehr so gerne über tollpatschige Frauen, die sich daran orientieren, wie sie ihre Außenwirkung auf andere optimieren können und wie sie möglichst schnell einen tollen Typen angeln, lesen. Da wünsche ich mir Wilma, die viel Potential hat, moderner, mutiger, vielleicht auch ein bisschen rotziger.

Wer einen Humorvollen, locker leichten und unterhaltsamen Roman sucht, der ist bei Nina Hundertschnee und "Die Glücksschwindlerin" jedoch goldrichtig.



Buchinfo:

Saga Egmont (2023)
259 Seiten
Taschenbuch 12,99 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner