"Ich erinnere mich, ihn an jenem Morgen aus Höflichkeit gefragt zu haben, welchen Fotoapparat er für den besten halte. Er hatte mit den Schultern gezuckt und mir gestanden, dass er letztendlich die Apparate aus schwarzem Plastik bevorzuge, die man in Spielzeuggeschäften kauft und die einen Wasserstrahl spritzen, wenn man auf den Auslöser drückt."
Es ist das Jahr 1992. Das Auftauchen einiger Fotos erinnern Autor Patrick Modiano an eine sehr eindringliche Begegnung aus dem Jahr 1964. Das Jahr, in dem diese Fotos von Francis Jansen gemacht wurden. Jansen übte mit seiner leicht melancholisch, geheimnisvollen Art und der Scheu "allein zu sein", eine Faszination auf Modiano aus, der ebenfalls den Wunsch verspürte mit seiner Kunst sein täglich Brot zu verdienen. Anders als Jansen, der eine gewisse Abneigung gegen Worte verspürte, sollten diese für Modiano später sogar dazu führen den Literaturnobelpreis zu gewinnen (aktuell im Oktober 2014).
"Es reicht mir, eins seiner Fotos anzuschauen, um die Fähigkeit wahrzunehmen, die seine Kunst und sein Leben ausmacht, und die so kostbar , aber so schwer zu erlangen ist: im Schweigen zu verharren."
Es ist eine der Begegnungen, die man nie ganz vergisst. Scheinbar eine Fügung des Schicksals ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt jene Persönlichkeit getroffen zu haben. Eine feine Verbindung gibt es schon zwischen Fotograf Jansen, reif an Jahren und Erfahrungen, und Schriftsteller Modiano, einem "so jungen Hund". Eine Frau - wie sollte es anders sein. Des einen große Liebe, des anderen flüchtige Bekanntschaft aus der Kindheit. Ein Moment, der erst durch eine Fotografie aus den Ruhestätten des Gehirns wieder hervorgeholt wird.
"Ein so junger Hund" ist ein sehr schmales Buch, genau ausreichend für eine Begegnung wie diese. Ausreichend für eine erstmalige Begegnung zwischen Leser und Autor. Ausreichend um festzustellen, dass dieser französische Künstler der Worte den Literaturnobelpreis zurecht gewonnen hat. Trotz seines zarten Umfangs verfehlt dieser Roman seine Wirkung nicht. Eine Erzählung über die Begegnung mit einem Fotografen so aufgebaut, wie ein Foto selbst. Geschickt rückt dadurch die Faszination der Fotografie ebenso in den Vordergrund wie das Leben des Fotografen Jansen, das sich - wie jedes andere auch - aus vielen kleinen Einzelaufnahmen zusammensetzt. Eine Aufnahme kann ein ganze Lebensgeschichte erzählen, doch fängt sie nur den Moment ein - festgehalten für die Ewigkeit -, der sowohl alles offen darlegt, aber auch undurchdringlich und gestellt sein kann. Die Wahrheit wird nur vom aufmerksamen Betrachter, von demjenigen, der sich für die "Geschichten dahinter" interessiert, aufgedeckt. Betrachter, wie Jansen und Modiano sie gleichfalls zu sein schienen. Eine weitere Verbindung zwischen beiden, von keinem von ihnen beeinflusst.
"Wenn ich mich an diesen Abend erinnere, so empfinde ich das Bedürfnis, die Schemen, die mir entgleiten, einzufangen und sie wie auf einer Fotografie festzuhalten. Aber nach so vielen Jahren verblassen die Konturen, und ein immer verfänglicherer Zweifel nagt am Bild der Personen. Dreißig Jahre reichen aus, um Zeugen und Beweise verschwinden zu lassen."
Obwohl nur von einem kurzen Zeitraum berichtet wird, erfährt der Leser in diesem kleinen Büchlein, das so fein geschrieben ist, in dem so viele schöne und kluge Sätze gesprochen werden, dass ich sie am liebsten alle in meinem Gedächtnis einschließen würde, sehr viel über den Fotografen Jansen. Wie er einst gewesen sein könnte und wie er im Sommer 1964 war. Ein wenig des Lebens müde, schwermütig, gebrochen durch Verluste von Freunden, Bekannten und Unbekannten, durch einen sinnlosen Krieg, der viele Leben gekostet hat. Es scheint als habe er den wahren Wert des Lebens, den Sinn von Freundschaften und Liebe aus den Augen verloren. In Kontrast stehenden zu Modiano, der sein Leben mit allen Höhen und Tiefen zu diesem Zeitpunkt noch vor sich hatte. Es geht ihm wie anderen häufig auch. Manche Momente versteht man erst im Nachhinein - manchmal erst nach Jahren der Erfahrung - so richtig.
"Ich konnte die Zukunft nicht voraussagen, aber in dreißig Jahren, wenn ich Jansens Alter erreicht hätte, würde auch ich verschwinden, wie er, an einem Abend im Juni, in Begleitung eines schemenhaften Hundes."
Ich habe "Ein so junger Hund" unglaublich gern gelesen. Jedes einzelne Wort in mich aufgesogen, jeden Satz gemocht und genossen. Patrick Modiano schreibt schon so lange und erst jetzt hat sich für mich der Moment ergeben, in dem ich auf ihn aufmerksam werden durfte. Es war ein Vergnügen meine Zeit mit ihm zu verbringen und ich freue mich auf ein Wiedersehen.
Buchinfo:
Aufbau (2014)
112 Seiten
14,95 €
Übersetzer: Jörg Aufenanger
Eine sehr schön Rezension. Bisher kam es mir vor, als wären die meisten von Modiano nicht so überzeugt (und mir ging es ja ähnlich). Da ist es mal erfreulich, dass dir das Buch so gut gefallen hat!
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