"Sprosse war der beste Name der Welt. Sprossen bildeten Blätter heraus, die vom Wind und Sonne berührt wurden, bevor sie abfielen, vermoderten und zu Erde wurden, auf der wohlriechende Blumen wachsen konnten. [...] Zwar rief sie niemand so, aber der Name gab ihr ein gutes Gefühl."
Sprosse lebt auf im Hühnerstall eines Bauernhofs. Es wird von ihr erwartet, dass sie jeden Tag ein Ei legt. Anerkennung bekommt sie dafür keine. Traurig beobachtet sie täglich das andere Federvieh des Hofes, das draußen herum laufen darf und die Freiheit genießen kann. Außerdem hat das andere Geflügel Nachwuchs. Auch Sprosse wünscht sich ein kleines Küken, das sie umsorgen und bemuttern kann. Ein einziges würde ihr schon genügen, doch wie soll das gehen, wenn die Bäuerin ihr jeden Tag ihre Eier wegnimmt. Das will sich Sprosse nicht länger bieten lassen und geht in Streik. Sie weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass Hühnern, die keine Eier mehr legen, das Ende droht. Doch Sprosse ist eine echte Rebellin, die ihre Ziele fest im Blick hat. Koste es was es wolle. Sogar das eigene Leben.
"Jedes Mal, wenn die Bäuerin ihr eines wegnahm, blieb Sprosse mit leerem Herzen zurück: Ihr Stolz über das gelegte Ei verwandelte sich in Traurigkeit. Jetzt, nach über einem Jahr im Hühnerstall,fühlte sie sich ausgebrannt."
"Das Huhn, das vom Fliegen träumte" ist eine Fabel der koreanischen Autorin Sun-Mi Hwang, Professorin für Literatur in Seoul. Das Buch, das so zart ist wie eine frische Eierschale, die noch nicht richtig ausgehärtet ist und doch im Verlauf der Geschichte mehr und mehr dazu wird, eroberte koreanische Bestenlisten und wurde sogar als Animationsfilm verfilmt. Zu Recht, wie ich finde, denn diese kleine Geschichte über Träume, Familie und den Blick unter die Oberfläche ist etwas ganz besonderes. Ich gestehe, ich war zunächst skeptisch, ob mich die Faszination der Fabel, die mich als Kind so fesseln konnte, auch heute noch zum Lesen animiert. Spannend wie eh und je ist es, zu entdecken, was hinter den Figuren der Fabel steckt. Warum sie gewählt wurden und was sie dem Leser sagen möchten.
" 'Sprossen sind auch die Mütter der Blumen', erklärte sie weiter. 'Sie atmen , sie widerstehen Wind und Regen, sie speichern das Sonnenlicht, und sie bringen weiße Blüten hervor. Ohne sie gäbe es keine Bäume. Sprossen sind lebenswichtig.' "
Sprosse ist die herzigste Protagonistin, der ich seit langem begegnet bin. Mutig und unerschrocken kämpft sie dafür ihre Träume, ihre Ziele zu erreichen, wofür ganz besonders wichtig ist, dass man sie nie aus dem Blick verliert. Schon schnell merkt sie, dass es nicht so leicht ist aus den Traditionen, aus dem Gefüge konservativen Denkens auszubrechen. Äußerlichkeiten spielen eine große Rolle. Anders sein hingegen findet wenig Akzeptanz. Doch manchmal zeigt ein genauer Blick unter die Oberfläche, dass dort mehr Gemeinsamkeiten stecken, als zunächst erwartet.
Es ist nicht immer der einfache Weg, der einen zum Ziel führt, und schon gar nicht das Schwimmen mit der breiten Masse, das zum Glück führt. Individuell sein, selbstständig denken, auch mal Hürden in Kauf nehmen, das macht stark und glücklich. All das lehrt uns eine furchtlose Henne mit großem Herzen in einer liebenswerten kleinen Geschichte, die zum Nachdenken bewegt und so zart wie eindringlich illustriert wurde. Klare Leseempfehlung!!
Buchinfo:
Kein und Aber (2014)
160 Seiten
Klappenbroschur
Originaltitel: The Hen Who Dreamed She Could Fly
Übersetzung: Simone Jakob
Hörbuch gelesen von Senta Berger
Klingt irgendwie interessant, aber auch ein wenig merkwürdig. Ist das Buch anspruchsvoll geschrieben? Ich komm da drauf, weil du ja sagst, dass die Autorin Professorin für Literatur ist.
AntwortenLöschenHey,
AntwortenLöschenes ist zwar auch poetisch, aber nicht so anspruchsvoll, dass du die Schreibe nicht mögen würdest. Ich glaube es könnte dir gefallen.