Die
Herbstprogramme der Verlage sind voll mit tollen Büchern und spannenden
Neuerscheinungen. Tine und ich haben uns intensiv mit den einzelnen
Programmen beschäftigt und versucht herauszufinden, ob sich einzelne Trends
abzeichnen. Gibt es verschiedene Themen, die von vielen Verlagen aufgegriffen
werden? Das Ergebnis unserer Recherche (natürlich schon durch unsere Interessen
und die etwas gesteuerte Wahrnehmung geprägt) findet ihr in diesem
Buchgeflüster.
Trends im Herbstprogramm der Verlage
Im
Bereich der Jugendbücher lassen sich einige Trends und Überschneidungen
festmachen, die sich teilweise schon in den letzten Monaten leicht angedeutet
haben.
Zum
einen wird in vielen Büchern aus den Herbstprogrammen das Thema Homosexualität
aufgegriffen, so zum Beispiel in „Two Boys
Kissing“ von David Levithan (Sept. / KJB), in dem es darum geht,
dass zwei Jungen versuchen, den Weltrekord im Küssen aufzustellen. In „Wir sind
unsichtbar“ von Maike Stein (Nov. / dtv) geht es um die Liebe
zwischen zwei Mädchen und darum, ob man zu dieser Liebe stehen kann und möchte.
„Wenn der
Mond am Himmel steht, denke ich an dich“ von Deborah Ellis (Okt. /
cbj) handelt von Homosexualität im Iran
– sicherlich ein besonders sensibles Thema. Diesen Trend finde ich gut und
wichtig. Es braucht mehr homosexuelle Charaktere in Büchern; vor allem aber
auch homosexuelle Protagonisten in Geschichten, in denen die sexuelle
Orientierung keine Rolle spielt.
Auch
in „(W)ehrlos.
Irgendwann finden sie dich“ von Susanne Clay (Aug. / Arena) geht es
um eine verbotene (aber heterosexuelle) Liebe und dazu noch um die
Familienehre.
Zum
anderen sind psychische Erkrankungen gerade in vielen Jugendbüchern Thema. Mir
scheint es, als würden diese besonders häufig mit einer Liebesgeschichte
gepaart werden. In „Schau mir in
die Augen, Audrey“ von Sophie Kinsella (Juli / cbj) hat die
Protagonistin eine Angststörung, Die Hauptperson in „Die Welt ist
kein Ozean“ von Alexa Henning Lange (Juli / cbt) macht ein Praktikum in einer Psychiatrie und
ist sehr schnell fasziniert von einem der Patienten dort, der seit einem
traumatischen Erlebnis nicht mehr spricht. Und in „Rot wie das
Vergessen“ von Sasha Dawn (Aug. / dtv) geht es darum, dass ein
junges Mädchen vermeintlich ihren Vater umgebracht hat. Doch sie kann sich an
nichts mehr erinnern und leidet seitdem an einem Schreibzwang, denn sie hofft,
dass durch das Schreiben ihre Erinnerungen wiederkommen.
Des
Weiteren gibt es immer noch viele Dystopien (z.B. „Das Juwel.
Die Gabe“ von Amy Ewing (Aug. / FJB) oder „Young World.
Die Clans von New York“ von Chris Weitz (Sept. / dtv)) und Bücher,
in denen es um das Erwachsenwerden und die eigene Identität geht
(beispielsweise in „Ich habe
mich nie so leicht gefühlt“ von Linda Mullaly Hunt (Sept. / cbt) oder
„Rabensommer“
von Elisabeth Steinkellner(Aug. / Beltz)). Das sind grundsätzlich aber ja
altbekannte Trends oder immer währende Themen in der Jugendliteratur.
Ähnliche
Trends im Bereich der Fantasy herauszufinden, war nahezu unmöglich: Zwei Dinge,
die uns beim Durchblättern der Vorschauen besonders aufgefallen sind, sind die
Folgenden: Fantasy ist – neben den Krimis und Thrillern – vermutlich das Genre
der Reihen: Selten gibt es mal einen Einzelband. Viele der Neuerscheinungen
bilden den Auftakt zu einer neuen Reihe oder stellen einen Fortsetzungsband da.
Außerdem laufen noch immer viele Bücher von der Plot-Struktur her gleich ab: Eine
kleine Truppe von ganz unterschiedlichen Charakteren kämpft gegen das scheinbar
übermächtige Böse; so zum Beispiel in „Sieben
Heere“ von Tobias O. Meißner (Nov. / Piper) oder in „Age of Iron:
Der Krieger“ von Angus Watson (Dez. / Piper). Beide sind übrigens
scheinbar Auftaktbände zu neuen Reihen.
Der
einzige Trend, der sich ganz vorsichtig andeutet, ist der, dass es mehr und
mehr weibliche Heldinnen gibt. Die gab es natürlich schon immer, aber gerade im
Bereich der High-Fantasy waren die Hauptfiguren oft männlich: In „Blut aus
Silber“ von Alex Marshall (Okt. / Piper) ist dies ganz anders,
ebenso zum Beispiel in „Black Blade:
Das eisige Feuer der Magie“ von Jennifer Estep (Okt. / Piper).
In
der Belletristik dreht sich viel um Familie, den eigenen Lebensweg und die
Bahnen, die dorthin geführt haben. Man interessiert sich für Ahnen und
Vergangenes, weiß man doch, dass sie ebenso einen Anteil an der Ausbildung des
eigenen Charakters, der eigenen Lebensführung haben, wie selbsterwählte
Handlungen. Leser und Literatur werden offener. Verschließen nicht mehr die
Augen vor dunklen Kapiteln, sondern blicken ihnen tolerant und interessiert
entgegen.
Wenn
wir uns bspw. Historische Romane betrachten, fällt uns auf, dass wir vor
einigen Jahren fast nur Bücher gelesen habe, die im Mittelalter spielen. Wir
glauben, dass sie einen großen Anteil an historischen Texten ausgemacht haben.
Im Herbst- wie aber auch schon im Frühjahrsprogramm, schaut man nicht mehr so
weit in der Geschichte zurück. Nimmt sich nun auch dem Bereich der deutschen Historie
an, in der es einige düstere Abschnitte zu verzeichnen gibt. Es wird nichts
beschönigt und doch wird nicht – wie noch vor ein paar Jahren – immer nur
darauf herumgeritten, was in dieser Zeit schreckliches passiert ist, sondern anschaulich
dargelegt, dass es auch Menschen gab, die neben all der Grausamkeiten versucht
haben ein „normales“ Leben zu führen. Die sich verliebt haben, Kinder bekommen
haben und sich ihrer Familie, ihrer Arbeit, ihrem Überleben gewidmet haben, so
gut es eben ging. Im Herbstprogramm finden sich dazu einige sehr interessant
klingende Neuerscheinungen. Allen voran „Fieber am
Morgen“ von P. Gardós, ein Roman, der im Oktober im Verlag Hoffmann
und Campe erscheint und eine wahre Geschichte erzählt. Oder „Die Liebenden“
von G. Henschel (Okt. / Atlantik), dessen Liebesgeschichte nicht nur vom
Zweiten Weltkrieg erzählt, sondern auch die Zeit danach, die Zeit des Aufbaus
und Wiederbeginns mit einbezieht. Ein Krieg, der sich in unvorstellbaren Maßen
durch viele Länder gezogen hat, wie Richard Flannagan in seinem als
„schmerzvoll poetischen“ deklarierten Werk „Der schmale
Pfad durchs Hinterland“ (Sept. / Piper) erzählt.
Nicht
nur die Identität des eigenen Landes, des eigenen Volkes interessiert und hilft
bei Aufklärung, Verständnis und Information, sondern natürlich auch die
Geschichte der eigenen Familie. Suche nach Identität ist schon seit langem ein
Thema und tritt auch im Herbstprogramm wieder auf. In unterschiedlichen Formen
dargestellt findet dieses Thema Unterkunft in den Romanen „Morgenland“
/ S. Abarbanell (Sept. / Blessing), „Junge Hunde“
/ C. Travnicek (Okt. / DVA) und „Ein Sturm
wehte vom Paradies her“ / J. Anyuru (Sept. / Luchterhand).
Es
ist spannend zu sehen, welche Eigenschaften sich durch Generationen
hindurchziehen, welche Familienmitglieder ihr Rollenbild beibehalten, wer es
schafft aus dem Gefüge auszubrechen. Vielleicht steckt ein bisschen Voyeurismus
dahinter, vielleicht einfach das Interesse am Menschen. Was auch immer es ist,
der Generationenroman bleibt im Trend. Ganze fünf Generationen vereint M. Bittl
in ihrem Roman „Das Fossil“
(Okt. / Droemer). K. Atkinson, Meisterin der Beobachtung und geschätzt im
aufmerksam machen auf Verstecktes, betrachtet drei Generationen in ihrem
neusten Werk „Glorreiche
Zeiten“ (Nov. / Droemer). Aber auch der Blick auf nur eine
Generation, die intensive Betrachtung und herausarbeiten generationenspezifischer
Eigenschaften verliert nach wie vor nicht die Aufmerksamkeit, wie z.B. K. Kaufmanns
Roman „Superposition“
(Aug. / Hoffmann und Campe) zeigt.
Eine
– wie wir finden positive – Entwicklung ist für mich im Bereich der
Liebesromane erkennbar. Weniger Kitsch, mehr Aufmerksamkeit für einzelne
Charaktere, mehr Toleranz für die jeweilige Person. Wir treffen nicht mehr nur
einsame verlassene, pummelige junge Frauen und extrem gutaussehende superheldenhafte
Männer, sondern legen das Augenmerk darauf, was die Liebe wirklich ausmacht:
Glücksgefühle, Geborgenheit, sich selbst finden, Tiefgründigkeit. Dabei ist es
völlig gleich, ob die Protagonisten 83 Jahre alt sind, so wie in „Etta und Otto
und Russell und James“ / E. Hooper (Sept. / Droemer), oder
Urlaubsvertretung in einem anderen Leben machen müssen, um ihr eigenes Glück zu
finden, so wie Dorle in „Die
erstaunliche Wirkung von Glück“ / S. Rehlein (Okt. / DuMont).
Manchmal muss man zuerst dafür sorgen, dass viele andere glücklich sind, bevor
man um die eigene Liebe kämpft so wie Stella in „Zwanzig
Zeilen Liebe“ / R. Coleman (Aug. / Piper).
Der
Herbst verspricht spannend zu werden. Gefühlt werden die Bedürfnisse der Leser,
die sich schon im Frühjahrsprogramm abzeichneten, ernst genommen und bereits
vorhandene Trends weiter verfolgt. Zugleich scheinen die Verlage ebenso offen
für Neues, wie ihre literarischen Schützlinge. Sie zeigen sich mutig neue Wege
zu beschreiten und bescheren uns damit ein Herbstprogramm das keinerlei (Lese-)
Langeweile aufkommen lässt.
Welchem Trend des Herbstprogramms werdet ihr folgen?
Wie findet ihr es, dass es auch in der Buchbranche Trends gibt?
Wie findet ihr es, dass es auch in der Buchbranche Trends gibt?
Eine tolle und ausführliche Zusammenstellung habt ihr da gemacht! Ich habe ja den Eindruck, dass es aktuell weniger klare Trends gibt als es in den letzten Jahren teilweise der Fall war. Mag aber auch sein, dass das nur auf die Fantasy zutrifft, über die ich doch von allen Genres am besten informiert bin.
AntwortenLöschenAllgemein kümmere ich mich ja eher weniger um solche Trends, da es so viele ältere Bücher gibt, die ich noch lesen möchte, dass Neuerscheinungen bei mir immer nur ab und zu dazwischengestreut werden.
Unabhängig davon begrüße ich jeden Trend, der in Richtung mehr Diversität in Büchern geht - nicht nur in punkto Sexualität. Ich stimme dir auf jeden Fall zu, dass es mehr homosexuelle Protagonisten geben sollte auch in Romanen, die nicht auch genau das als Hauptthema haben.
Und ich finde es auch gut, wenn historischer Roman nicht mehr gleich Mittelalter bedeutet, wobei der 2. Weltkrieg wohl eine der Epochen ist, die schon seit einer Weile einen großen Stellenwert bei den historischen Romanen einnimmt. Was prinzipiell gut und begrüßenswert ist, aber ich würde mir hier noch ein breiter gestreutes Programm wünschen. Es gibt ja doch so einige historische Epochen (und Regionen auf der Welt), die kaum behandelt werden, was ich wirklich schade finde.
Ich als Leserin bräuchte ja nun nicht unbedingt bestimmte Trends. Aber sind wohl aus der Verlagswelt nicht wirklich wegzudenken.
Hallo,
Löschendanke :) War auch sehr aufwendig ;)
Ja das Gefühl habe ich auch. Wir haben die Idee schon ganz lange und damals gab es noch sehr deutlich erkennbare Trends (Erotikromane z.B.). Man muss allerdings sagen, dass wir ja auch wirklich nicht alle Verlage durchgeschaut haben und da auch ein bisschen subjektiv rangegangen sind. Wir haben z.B. Chick Lit völlig ausgespart, weil ich das Genre nur ganz, ganz selten lese, und stellen in erster Linie auch Bücher vor, die für uns interessant klingen.
In Bezug auf historische Romane gebe ich dir recht. Ich selbst habe ja gerade einen Roman gelesen, der im 15. Jhdt auf La Palma spielt. War richtig spannend und interessant. Ich habe eine ganz neue Kultur kennengelernt. Der 2. Weltkrieg spielt schon lange eine Rolle, das stimmt. Dennoch haben sich meiner Meinung nach die Romane, die dieses Thema behandeln, verändert. Und das finde ich auch gut, denn auch diese Epoche wurde ja unterschiedlich empfunden. Wenn ich z.B. allein an meine Großeltern denke. Beide haben sehr unterschiedliche Erfahrungen mit dieser Kriegszeit gemacht. Und gerade kürzlich habe ich den ganz tollen Roman "Wie ein fernes Lied" gelesen, der widerspiegelt, wie viel Kultur in diesem Zeitraum verloren gegangen ist, wieviel fortschrittliches Denken zunichte gemacht wurde. Ein etwas anderer Blickwinkel, den ich richtig gut fand.
Es stimmt, man muss keine Trends haben, aber ich selbst ertappe mich bei Lesephasen in denen ich alles zu einem Thema, einer Epoche etc. verschlinge. Als Jugendliche war ich so extrem gefesselt vom Mittelalter, dass ich nichts anderes lesen wollte, dann kamen die Fantasyromane und ich fühlte mich in diesen Welten einfach super wohl. Derzeit finde ich die deutsche Geschichte vom Beginn des 20.Jhdts bis in die 50er / 60er Jahre extrem interessant. So schaffe ich mir wohl mein eigenes Trendlesen. Allerdings passt sich die Buchbranche nicht immer meinen Trends an ;)
viele liebe Grüße
Nanni