Als Anne erfährt, dass ihr Mann Christoph sie betrügt, nimmt sie ihren Sohn Leon, dessen Kaninchen Willi, und flieht zu ihrer Tante Vera. Wie es ist fliehen zu müssen, weiß Vera. Sie hat es vor Jahren am eigenen Leib erfahren, als sie aus Ostpreußen weg, über Landstriche voller Leichen und Verletzter, bis zum Anwesen der Eckhoffs zog.
Das Gefühl der Flucht ist etwas, dass sich in beide Frauen auf ihre eigene Art eingebrannt hat. Vera hat seitdem immer und in allen Situationen das Gefühl sich ihrer Heimat versichern zu müssen. Deshalb hat sie schon einen Grabstein mit ihrem Namen bestücken lassen. So weiß sie, wo sie einmal liegen wird. Die letzte Ruhestätte ist ihr sicher. Ein Gefühl der Sicherheit, das sie als junge Frau nicht hatte und dass sie sich hart erarbeiten musste. Dass sie viel in ihrem Leben gekostet hat.
Auch Anne trägt ein Gefühl der Flucht in sich. Flucht vor dem Ende ihrer Beziehung mit Christoph, flucht vor Verantwortung, Flucht vor ihrem eigenen Leben. Manchmal scheint es, als schaue sie lieber über Dinge hinweg, als könne sie gar nicht mehr alles sehen, weil sie so sehr damit beschäftigt ist, Wahrheiten zu umgehen. Geflüchtet ist sie auch aus ihrem Alltag in Hamburg-Ottensen, wo man auch als Mutter erfolgreiche Arbeitnehmerin ist, dem Kind nur die besten Vollwert-Vegan-Mikroorganistischen Lebensmittel sowie Förderungen in Mandarin, Physik und musikalischer Früherziehung zukommen lässt, immer hipp und schick ist und sich so oft trifft, dass man nie allein ist und trotzdem in Einsamkeit lebt.
Anne hat den langen Weg zu sich selbst und damit zu einem zufriedeneren Leben noch vor sich. Vera Eckhoffs Gehöft, die Gegend drumherum, das "alte Land", scheint dafür perfekt geeignet. Ruhe und Gleichmäßigkeit ist nur eine der Eigenschaften, die man dort seit Jahrhunderten pflegt und die in der schnelllebigen, heutigen Zeit dafür sorgen, dass man die Möglichkeit hat, Kraft zu tanken.
Dörte Hansen hat ein beachtenswert eindringliches Debüt geschrieben. Auch, wenn man in der Presse den Wunsch nach friedlichem Land, das es nach deren Meinung nicht wirklich gibt, etwas verhöhnt, ist es genau das, womit Dörte Hansen den richtigen Punkt trifft. Und das sicher nicht nur bei mir. Ich bin zwar nicht im "alten Land" aufgewachsen, aber eben schon auf dem Land und ja, es ist genau wie von der Autorin beschrieben. Etwas altmodisch, aber gleichmäßig. Zuverlässig. Und damit etwas, das für inneren Frieden sorgen kann. Dass uns ein Gefühl der Sicherheit gibt. Keineswegs lächerlich, sondern eher lehrreich.
Hannelore Hoger ist für mich die perfekte Sprecherin für das Hörbuch. Ihre Stimme ist ruhig, gleichmäßig. Harmoniert damit sehr gut mit der Atmosphäre des Romans. Hannelore Hoger hört sich so an, wie ich mir Vera Eckhoff vorstelle.
"Altes Land" ist ein wunderbarer Roman, der Ruhe und Geborgenheit vermittelt. Der wärmt und ein Gefühl von Heimkommen auslöst. In dem man sich nicht einsam, sondern gut aufgehoben fühlt. Gleichzeitig ist er die interessante Skizze des Landlebens und Menschen, die die Fluchtgedanken ihrer jeweiligen Generation zu verarbeiten haben. Interessant und großartig umgesetzt.
Hörbuchinfo:
Randomhouse Audio (Februar 2015)
4 CDs
Gekürzte Lesung
Gesamtspielzeit ca. 5 Std. 13 Minuten
19,99 €
Originalverlag: Knaus
Sprecherin: Hannelore Hoger
Random House Audio auf Facebook
Knaus auf Facebook
Knaus auf Twitter
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hallo,
schön, dass du hier her gefunden hast. Ich freue mich über deinen Kommentar.
Mit dem Absenden deines Kommentars gibst du dich einverstanden, die bestehenden Datenschutzbestimmungen (s. entsprechende Seite auf meinem Blog) zu akzeptieren.
Liebe Grüße,
Nanni