30.10.15

Applaus für Bronikowski - Kai Weyand



In diesem Jahr macht ein kleiner Roman aus einem unabhängigen Verlag seine Runde. Weckt mit seinem skurrilen Protagonisten Aufmerksamkeit. Landet auf der Hotlist der unabhängigen Verlage und wird für den Deutschen Buchpreis nominiert. Die Rede ist von "Applaus für Bronikowski". Hat man den Roman erst einmal gelesen, weiß man, warum er zu Recht so viel Beachtung bekommen hat.

Nies ist über 30, hat hier und da einen Job, aber nichts so richtig festes, solides wie sein Bruder Bernd. Seit seine Eltern nach Kanada ausgewandert sind, möchte er auch nicht mehr Nies, sondern NC genannt werden, womit er auf den ersten Blick zeigen will, was er von ihrem Wegzug hält. Dass er einen Beruf benötigt, leuchtet ihm ein. Sicherheit usw. schon klar, aber es muss eben auch zu ihm passen. Er ist nun mal nicht so ein Zahlenmensch wie Bernd. Durch einen Zufall gelangt er nicht nur in ein Bestattungsunternehmen, dass gerade einen Mitarbeiter sucht, sondern auch zu einer Begegnung, aus der eine etwas seltsame, aber sehr besondere Freundschaft entwächst.

"Er wollte hinter das Geheimnis der Wörter kommen, wollte verstehen, was sie in ihrem Kern bedeuteten , warum manche so tief in einen eindrangen , als wären sie Messer, und manche an einem abprallten, als wären sie Gummibälle, warum ihr Klang nicht unbedingt ihre Bedeutung widerspiegelte und warum man ihnen hilflos ausgeliefert war. [...] Aber je mehr er las, desto mehr überkam ihn das Gefühl, dass die Wörter gar keine Geheimnisse hatten, dass sie nichts als aus Buchstaben zusammengesetzte Sklaven waren, die demjenigen dienten, der sie sich zu eigen machte."

Protagonisten wie Nies gibt es leider viel zu selten. Schnell wächst mir der junge Mann mit seiner etwas gewöhnungsbedürftigen Weltanschauung ans Herz. Würde es nach ihm gehen, wäre die Welt ganz leicht in Wörter aufzuteilen, aber ihn fragt ja niemand und deshalb ist das Leben komplizierter, als es sein müsste. Außerdem gibt es auch noch Zwischenmenschliche Bedürfnisse und Verknüpfungen, die für Nies in den meisten Fällen ein Rätsel darstellen. Um vieles wird seiner Meinung nach einfach viel zu viel drumherum geredet. In gewisser Form ist er in der Lage tief in den Menschen hineinzublicken, Wahrheiten zu erkennen. Was er allerdings nicht versteht, warum sein Bruder und seine Ex-Freundin glauben, dass Frauen keinen Mann möchten, der Bestatter ist, wo es sich dabei um einen ehrenwerten Beruf handelt. Zudem ist jeder einmal auf die Arbeiten eines Bestatters angewiesen.

Dass seine Mitmenschen oftmals so kompliziert denken, ist für Nies nicht immer ganz einfach. Häufig steht er dadurch unter einen gewissen Grundanspannung, die sich oftmals in unerwarteter Weise Luft macht. Anders ist es mit den Toten. Sie sind so friedlich, so verletzlich in ihrer Situation. Es ist rührend und beeindruckend wie sensibel und respektvoll er mit ihnen umgeht und Verständnis für die Hinterbliebenen und ihre Gefühle hat, die sich oftmals anders verhalten, als man es erwarten würde. Der Tod trägt Geheimnisse zu Tage. Er verletzt, berührt, sorgt in gleicher Weise für Ehrlichkeit, aber auch Verschleierung.

"Sabine wollte ein Bestattungsinstitut, in dem man lachen und weinen durfte. Lachen sei Zauberei, behauptete sie. Denn wer lacht, empfindet keine Angst, und wenn man keine Angst hat, kann man Dinge sehen, die man zuvor nicht gesehen hat. Lachen könne der Trauer nicht den Schmerz nehmen, aber ihr ein anderes Licht geben."

Die Schreibe des Autors Kai Weyand ist klar, auf den Punkt und dennoch von einer gewissen Poesie. Eine Kombination, die mir sehr gut gefallen und perfekt zum Gefühl passt, das der Roman mir vermittelt hat. Passend auch zum Humor der Geschichte, der eigentlich keiner ist, denn das, was der Leser als eine gewissen Ironie einschätzt, worüber er schmunzelt, wird von Nies sehr ernst aufgefasst. Für mich stellt sich die Frage, ob ich (oder wir) einige Dinge mit mehr Ernst betrachten sollten oder ob Protagonist Nies einfach öfter mal bereit sein sollte, dem Leben mit einem Lächeln zu begegnen? Ich mag es sehr, wenn Romane mich mit Denkarbeit zurücklassen. Mit Betrachtungen, die sich je nach Perspektive und Reflexion verändern. Ein Aspekt für den "Applaus für Bronikowski" weitere Pluspunkte von mir bekommt. Zudem ist es die herzlichste, sympathischste und intelligenteste Geschichte, die ich über das Zusammenspiel von Leben und Tod bisher gelesen habe.

Buchinfo:


Wallstein (März 2015)
188 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag
19,90 €
Wallstein auf Twitter

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Veranstaltungen zu diesem Buch:


17.11.2015 um 18.00 Uhr Hildesheim, Leselounge der Universitätsbibliothek, Marienburger Platz 22

Lesung



20.01.2016 Mainz, Grünewald und Baum Bestattungen, Heiligkreuzweg 88
Lesung



12.04.2016 Offenburg
Lesung im Rahmen der »Offenburger Literaturtage«



25.04.2016 Ulm, Ulmer Bücherstube, Schuhausgasse 8
Lesung im Rahmen der »Literaturwoche Ulm«


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