Kalinka ist die
einzige Überlebende ihrer jüdischen Familie. Alle anderen wurden
von deutschen SS-Mitgliedern, die in der Ukraine stationiert sind, um
dort ihre Pflichten zu erfüllen, getötet. Um ihnen zu entkommen
flieht Kalinka und findet Unterschlupf im ukrainischen Naturreservat
Askania-Nowa, das für den Erhalt seltener, regionaler Wildtierrassen
gegründet wurde.
„Das
menschliche Herz ist ein seltsames Ding, doch das gilt auch für
Pferde und ganz besonders für Wildpferde.“
Dort leben neben
Wildtieren, wie eine kleine Herde der ganz seltenen Urzeitpferderasse
Przewalski, auch der Tierwärter Max und sein Windhund Taras. Seit
eine Gruppe deutscher SS-Soldaten in Askania-Nowa eingezogen ist,
muss er ihnen behilflich sein, sich dort zurecht zu finden. Eine
Aufgabe, die er gegen seinen Willen erledigt, ihn aber davor bewahrt
ebenfalls erschossen zu werden. Denn das passiert mit den
Przewalskis, die nicht dem entsprechen, was der deutsche Hauptmann
Grenzmann unter einem hübschen, sportlichen Pferd versteht. Ein
Hengst und eine Stute können der Gewalttat entkommen, werden
gerettet von Kalinka und gehen eine ganz besondere Freundschaft mit
ihr ein.
„
'[…] Das SS-Hauptquartier trifft die Entscheidungen in allen
Rassenangelegenheiten. Und im Falle der Przewalski-Pferde hat Berlin
mir befohlen, die Arbeit zu vollenden, die die Natur bereits begonnen
hat, Max. Nämlich eine biologisch ungeeignete Rasse aus der
Tierpopulation des Großdeutschen Reiches zu entfernen, um die Linie
von vernünftig domestizierten Pferden wie Molnija davor zu schützen,
von euren herumstreunenden Höhlenponys verunreinigt zu werden.[…]'
“
„Winterpferde“
ist ein sehr beeindruckendes, emotionales Buch, das mich sehr bewegt
hat. Angesprochen vom ausdrucksstarken Cover konnte Philipp Kerr, der
mir bisher nur durch seine Fantasyromane für Kinder bekannt war,
mein Interesse für diese sehr besondere Geschichte, die von einer
historischen Gräueltat berichtet, wecken. Meine Angst, dass der
Roman zu bedrückend und düster ist und große Traurigkeit bei mir
auslösen würde, war größtenteils unbegründet. Man kann die Auge
nicht davor verschließen, dass in den 1940ern ganz, ganz
schreckliche Dinge passiert sind, die auch von Philipp Kerr nicht
verherrlicht werden, aber die Hoffnung, die Kalinka in sich trägt,
der Mut gegen Tod und Ungerechtigkeit anzukämpfen, dominieren und
sorgen dafür, dass die Tränen der Trauer, denen der Erleichterung
und Rührung weichen.
„
'Ich glaube, man hat immer eine Wahl. Das ist das, was uns zu
Menschen macht. Jeder, der behauptet, er hätte keine Wahl,
könnte genauso gut sagen, dass er nicht besser ist als Molnija, der
sein Gebiss zwischen den Zähnen trägt und einen Sattel auf dem
Rücken.' “
Philipp Kerr benutzt
einen eher ruhigen Erzählton, setzt den Schwerpunkt auf fein
herausgearbeitete Charaktereigenschaften, mit deren Hilfe eine sehr
bildliche Darstellung von Historie, Handlung und Landschaft entsteht.
Besonders die deutschen Soldaten stellen sich durch ihre Aussagen,
die kontrovers und verblendet sind, auch ohne ihre Taten, in ein
schlechtes Licht. Möchten besonders schlau und herrschaftlich
erscheinen, wirken aber dümmlich und lösen beim Leser Wut und
Missfallen aus.
„
'Aber diese Leute hier sind noch schlimmer. Das macht der Krieg
aus den Menschen: Er verwandelt sie ihn böse Monster.' “
Das Mädchen Kalinka
begibt sich auf eine mutige Reise, die nicht komplett der Realität
entspricht und einige eher märchenhafte Passagen erhält, aber so
dicht an der Historie des Zweiten Weltkriegs angelehnt ist, dass sie
sicher so ähnlich tatsächlich passiert sein könnte. Dass die Rasse
der Przewalskis fast ausgestorben wäre und auf nur neun Stammpferde
zurückgeht, ist nicht Kerrs Feder entsprungen, sondern entspricht
Tatsachen. Mir gefällt wie der Autor auf die irrsinnigen
Gräueltaten des Kriegs hinweist, diese einbettet in die bewegende
Geschichte eines Mädchens und zweier Pferde, die ein ähnliches
Schicksal und eine besondere Freundschaft teilen, und so einen sehr
lesenswerten Roman entwickelt, der für mich einer der Lesehiglights
der Herbst- / Winterprogramme ist.
Buchinfo:
Rowohlt (September 2015)
288 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
16,99 €
Originaltitel: The Winter Horses
Übersetzung: Christiane Steen
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Schöne Rezension, Nanni. Das Buch ist zwar sicherlich trotzdem nichts, aber deine Besprechung fand ich schon sehr atmosphärisch. :)
AntwortenLöschenDanke :) Freut mich, dass sie dir gefällt :)
LöschenNach dieser tollen Rezension musste ich mir das Buch gleich mal vermerken. Danke dafür.
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Hibi