Sarah Kuttner mag
ich. Ich mag ihre MTV Sendungen, ihre Twitter Posts, ihren Debütroman
„Mängelexemplar“ (den zweiten Roman „Wachstumsschmerz“ fand
ich extrem öde), ihr Auftreten und ihre rotzige Ironie. Nun hat sie
einen dritten Roman veröffentlicht. Mit Meer und Hund und einer
Protagonistin, die aus einem ziemlich verkorksten Elternhaus stammt.
Klingt nicht wirklich besonders oder groß, ist aber von
erstaunlichem Sog. Kuttner plappert nicht nur drauf los. Sie hat was
zu sagen.
Jules Leben kann
einfach nicht in geraden Bahnen verlaufen, denn dank der Schattierung
ihrer Kindheit hat es bereits in Schieflage begonnen. Mutter und
Vater sind getrennt, Mutter kommt mit ihrem Leben nicht klar, ist
aber meisterlich darin die Schuld auf Jule abzuwälzen, der Tochter
ihre negativen Gefühle aufzudrücken. Besonders die Wut auf den
Erzeuger und den Frust über die misslungene Erziehung. Irgendwann
hat Jule so oft gehört, dass sie Schuld sei, dass sie sich
tatsächlich schuldig fühlt. Frust gegen sich selbst baut sich auf.
Frust, dem sie Luft machen muss. Z.B. durch Sex mit ihrem Chef. Ohne
Gefühle, denn für Liebe und Geborgenheit hat sie ja ihren Freund
Tim.
„Und
auch in Tim schlummert eigentlich Abneigung gegen Monika, denn Monika
ist nicht nur eine arme Wurst, sondern eine arme Wurst, die ihre
sechsjährige Tochter fest an der Hand hielt, als sie sich vor ein
Taxi warf, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, eine arme Wurst zu
sein. Jemand, der auch die anderen halbgaren Selbstmordversuche nicht
ohne Kinderpublikum über die Bühne bringen konnte.“
Jule befindet sich
in einer Spirale, die aus den Erwartungshaltungen der
Eltern-Kind-Ebene entstanden sind, die von keiner Seite erfüllt
werden können und zu Enttäuschungen führen. Die größte
Enttäuschung ist Jule selbst. Das hat man ihr von frühen
Kindesbeinen an so eingetrichtert und davon wegzukommen ist
schwierig. Sie reitet sich immer tiefer hinein, in diese falsche
Gefühlswelt, bis alles draufgeht. Ihr Alltag, ihre Beziehung, ihr
Leben wie es bisher war. Ein Leben gefüllt mit Wut und Verachtung.
Null Respekt für sich selbst. Ist es der große Knall, der ihr hilft
den Dreh zu bekommen und von nun an besser zu leben? Besser mit sich
selbst umzugehen?
Ein Besuch bei ihrem
Bruder Jakob in England soll ihr Klarheit bringen. Einsicht.
Vielleicht sogar Heilung. Was als Flucht beginnt ist Jules
Möglichkeit ihr Schneckenhaus zu verlassen. Den schützenden Panzer,
den sie in all den Jahren aus den Worten der Verachtung, dem aufladen
aller Schuld, der fehlenden elterlichen Liebe, um sich herum
aufgebaut hat. Negative Erfahrungen sind schon so sehr zu ihrem
Alltag geworden, dass deren fehlen sie durcheinander wirbeln würde.
Zu dem Zeitpunkt weiß sie noch nichts von der heilenden Wirkung
eines Hundes und dem vom Meer ausgehenden Gefühl der Ruhe.
„Ich
habe schon wieder kein Ziel, aber ein bisschen Bock auf einen Weg.“
„180° Meer“ ist
das Psychogramm einer jungen Frau, die ihr Leben lang mit Schuld und
falschen Erwartungen gekämpft hat. Die von ihren Eltern regelrecht
dazu benutzt wurde, damit diese all ihre negativen Gefühle auf ihr
abladen konnten, um sich selbst nicht damit auseinander setzen zu
müssen. Es zeigt, wie sehr wir in der Schublade leben, in die unsere
Kindheit uns hinein gedrängt hat, beeinflusst durch die Liebe und
Zuneigung unserer Eltern oder eben fehlen derselbigen.
Sarah Kuttner
erzählt diese Geschichte in einer Leichtigkeit, die von Hoffnung
spricht. Die vermittelt, dass es nicht notwendig ist in unseren
Schubladen zu verharren, sondern die Möglichkeit besteht, diese zu
verlassen. Dies hat mit verzeihen zu tun und dem Wunsch nach vorn zu
blicken. Ich finde es erstaunlich wie gut sie dieses Psychogramm
zeichnet, wie klar Ursprung und Verlauf dargestellt werden.
„Aus
diesem Gefühl konnte vermutlich nur Verachtung erwachsen, und das
ist es eben, was aus all den Jahren übrig geblieben ist: Verachtung.
Für mich, weil ich nie stark genug war, um auf meine eigene
Persönlichkeit zu bestehen, und für ihn, weil er es zugelassen
hat.“
Sprachlich bleibt
sie sich treu. Ist direkt, ehrlich, haut raus, was sie denkt. Erzählt
eine interessante Geschichte, ohne um den heißen Brei herum zu
reden.
Und das Ende des
Romans? Ja das ist so, wie es sein sollte. Glaubwürdig, echt,
realistisch. Gibt Raum zum Denken und der Frage in welcher Schublade
wir vielleicht schon viel zu lange verharren und wann wir uns zum
letzten Mal etwas Gutes getan haben. Zeit mit Hund. Oder eine Reise
zum Meer.
Buchinfo:
S.FISCHER (Januar 2016)
272
Seiten
Hardcover
mit Schutzumschlag
18,99
€
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Hey :)
AntwortenLöschenIch habe es mir als Hörbuch ausgeliehen und freu mich schon es endlich hören zu können.
Ich bin echt gespannt wie es mir gefallen wird.
Liebe Grüße
Hey,
Löschenals Hörbuch ist es sicher auch sehr schön :)
Ich bin auch gespannt, wie es dir gefällt.
Liebe Grüße
Nanni