28.10.14

Deutscher Meister / Stephanie Bart



" Und jetzt riss der künftige Führer die geballte Faust aus der Tasche und drohte den Gipfeln: Und eben daher wehrlos gegen das Brecheisen! Der Anhänger erschrak. Das Wort Brecheisen musste ins Buch. Das Buch musste ein geistiges Brecheisen werden. Gleich würde er es diktieren. Die gesamte männliche Jugend des Reichs musste Boxen lernen. Daran führte kein Weg vorbei."

Es ist das Jahr 1933. Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt, bildet das Kabinett Hitler, in dem er Nationalsozialisten und die Deutsche Volkspartei vereint. Faschismus greift um sich, nimmt das deutsche Volk mehr und mehr ein, erlässt neue Gesetze, sortiert, was es zu sortieren gilt. Boxen soll zum Volkssport gemacht werden, klaren Regeln folgen, nicht nur im Ring, sondern auch außerhalb. Besonders die Auswahl der Boxer ist sehr prekär, denn Zigeuner und Neger vertreiben sich gern die Zeit mit Faustkampf. Einer von ihnen ist Trollmann. Ein Mann aus dem Volk. Ein Mann, der mit Charme, Kampfgeist und Talent das Volk zum Sport hinzieht.

"Koch vertrat die Ansicht, das Zigeunerblut sei zwar wankelmütig, schauspielerhaft und disziplinlos, aber es habe den Urwaldinstinkt des Negers, mit dem man im Ring natürlich besser dastehe als mit der Asphaltkultur der Zivilisation, und es habe eine Zähigkeit, die das natürliche Maß übersteige."

Das Volk wird vom Nationalsozialismus infiltriert. Die Gedankengänge der Nazis, die nur selten nachvollziehbar und oft in sich widersprüchlich sind, breiten sich beharrlich und drängend aus. Wie ein Virus befallen sie die, die für eigene Gedanken nicht fähig sind, sich vom Strom derer mitreißen lassen, die oftmals willkürlich und nach eigenem Interesse entscheiden. Persönliche Fehden und vor allem Stolz spielen dabei eine große Rolle. Perfekt und eindringlich von der Autorin Stepahnie Bart dargestellt durch eine gewisse Ironie, die nicht immer offensichtlich gekennzeichnet, aber doch so deutlich wie die ganze Farce des Nationalsozialismus ist. Sie schreibt mit dem nötigen Ernst und stellt gerade so die Ironie des Nationalsozialismus dar, der für arische Reinheit und Regeln plädiert. Arische Reinheit reine Auslegungssache zugunsten der Nationalsozialistischen Fadenzieher.


"Und ihm war klar, dass sie ihn nur hatten niederschlagen können, weil sie in ihrer Instinkthaftigkeit so kämpften, wie es ihrer Rasse am besten entsprach. Dagegen war eine deutsche, eine arische Kampfesweise noch gar nicht bekannt, und das Buch war ein flammendes Pamphlet, sie zu finden, zu entwickeln und zeigte zugleich den Weg."

Stepanie Bart, die mit "Deutscher Meister" ihr Debüt ablieferte, das bereits den Rheingau Literaturpreis erhielt, benutzt kühle, klare Sätze, häufig so als würde ein Sportreporter berichten, und hebt damit Brutalität, Empörung, Erschöpfung und Ungerechtigkeit gegenüber Trollmann, dem Volk, seinen Fans, deutlich hervor. Diesen nicht bewusst, was der Nationalsozialismus jetzt und in Zukunft bedeuten wird. Wie gefährlich es ist, wenn abstruse Denkweisen zu perfiden Handlungen führen und ein ganzes Volk dazu gezwungen wird dem zu folgen oder noch schlimmer: aus freien Stücken hinterherläuft.

"Trollmann lachte. Dann teilte er seine Stirn durch eine scharfe Senkrechtfalte und drohte mit rollendem R und schnarrender Stimme: 'Wir wärdn Adolf onnnärrrbättlich austanzännn! Wir wärdn rröcksächtslos Gebrauch machn von onsäräm nääägärhaftn Zägeunärinstinkt!' "

Mit kleinen Details und Charakterigenschaften der Figuren, macht sie Haupt- und Nebendarsteller zu realistischen. lebendigen Personen, die menschlich wirken. Damit stellt Stephanie Bart den Irrsinn dem sie folgen in genau das groteske Licht, das er verdient hat. Ihr Roman "Deutscher Meister" stellt eine mir ganz neue literarische Sicht auf den Nationalsozialismus dar. Noch nie hat mich ein Roman zu diesem Thema gleichfalls so gut unterhalten und eben doch schockiert, denn all das was im Jahr 1933 noch mit einem Lächeln abgetan wurde, noch nicht in vollem Umfang absehbar und einzuschätzen war, nimmt nur kurze Zeit später ein ungeahntes Ausmaß an und kostet über 65 Millionen Menschen das Leben. Eine Tatsache, die einfach nie in Vergessenheit geraten darf und von Stephanie Bart nun noch einmal deutlich, ohne zu Belehren, dargestellt wird.

"Fest stand nur: Trollmann war ein Problem insofern, als der Titel des Deutschen Meisters eine Auszeichnung war, die verpflichtet! Man musste eine gewisse Persönlichkeit mitbringen, um dieser Auszeichnung würdig zu sein. Als Deutscher Meister repräsentierte man das deutsche Boxen als solches. Es ging um die nationale Ehre. Syphilis und Verrat gehörten dazu, nicht dazu gehörte Sinto."

Buchinfo:


Hoffmann und Campe (August 2014)
384 Seiten 
22,00 €






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