Antoine ist von
seinen Eltern nie wirklich geliebt worden. Sein Vater unfähig solch
starken Gefühle zum Ausdruck zu bringen, seine Mutter nicht in der
Lage sie zu entwickeln. Sie hat es wenigstens mal versucht, doch dann
kam der Tod einer ihrer Zwillinge dazwischen und sie wusste keinen
anderen Ausweg, als die Flucht anzutreten. Feige hat sie ihre Kinder
zurückgelassen bei einem Mann, der sich mit Feigheit bestens
auskennt, denn die Feigheit ist es, die ihn davon abhält, Gefühle
zuzulassen.
„Ohne
die Liebe einer Mutter gedeiht man krumm. Wächst man schief.“
Antoine und seine
Schwester – der Zwilling, der noch lebt – sind die
Zurückgebliebenen. Verlassen von der Liebe, die Eltern ihren Kindern
geben sollten, leben sie in einer Art Symbiose. Dann lernt Antoine
eine Frau kennen. Schön, wild, scheinbar mutig. Schnell brennt er
für sie, doch ebenso schnell erlöschen die Flammen, in denen sie
gemeinsam getanzt haben. Antoine ist wieder derjenige, der
zurückbleibt. Doch nun gibt es eine Tochter, die er liebt. Bei einem
späteren Versuch wieder eine Familie zu werden, denn irgendwann soll
sich der Kreislauf aus familiärer Zerrüttung mal lösen, kommt noch
ein Sohn hinzu. Antoine wäre so gern ein guter Vater. Doch hemmt ihn
das Gefühl, es nicht zu können. Er traut seiner Zuneigung nicht,
traut sich selbst nicht und begeht eine Tat von schockierender
Brutalität.
„Im Krieg
und in der Liebe ist alles erlaubt“ so ein berühmtes Zitat
Napoleons. Aber was ist erlaubt, wenn Liebe fehlt? Wenn ein Kind
aufwächst, ohne die Liebe der Eltern? Was macht das aus ihm?
Antoine hat nie die
Liebe erfahren, die er benötigt hätte. Weder von seinem Vater noch
von seiner Mutter. Wie soll er lieben erlernen, wenn er der Liebe nie
begegnet ist? Wie soll er sie weitergeben? Es entsteht ein Kreislauf,
der sich über mehrere Generationen erstreckt. Entrinnen kaum
möglich. Oder doch? Welchen Weg gibt es heraus aus diesem
Teufelskreis, der das Leben kalt und leer werden lässt?
„Man
wächst schlecht ohne den Schatten einer Mutter. Man wächst schief.
Man wird zum Dornenstrauch.“
Als Pädagogin mit
psychologischem Hintergrundwissen, fallen mir mehrere Wege ein. Wege,
die steinig und beschwerlich sind und möglicherweise erst nach
Jahren und in folgenden Generationen Erfolg zeigen. Der Weg, den
Delacourt für seinen Protagonisten gewählt hat, hat mich umgehauen.
Wie ein Faustschlag in die Magengrube, so dass eine bedrückende
Übelkeit in mir aufstieg, als ich die entscheidenden Worte gelesen
habe. Und doch ist sein Weg ebenso realistisch wie die anderen
Möglichkeiten, die bestehen. Wenn ich von realistisch rede, dann
meine ich nicht, dass es der richtige Weg ist, dass es aber eben ein
Weg ist, den Menschen, denen Liebe fehlt, einschlagen.
„Mein
Vater hatte wahrscheinlich niemanden geliebt, und unter all dem
Unglück, das er mir vererbt hat, war vielleicht auch dieses: die
Unfähigkeit, sich lieben zu lassen. Seine größte Schwäche und
fortan auch die Schwäche von uns allen.“
Delacourt ist für
mich ein Meister der Worte. Er versteht sie gekonnt einzusetzen, mit
ihnen zu jonglieren, Leser zu verzaubern. Gefühle mitten ins Herz zu
schreiben. Fein, poetisch, leise. Ganz ohne Schnörkel. In „Wir
sahen nur das Glück“ besonders bedrückende Szenen, ganz ohne
Dramatik und Theatralik. Ganz einfach so wie sie sind. Traurig,
bewegend, ergreifend.
„Warum
begegnet man denen, die uns gefehlt haben, gerade dann, wenn man sie
verliert?“
Dass Delacourt in
„Wir sahen nur das Glück“ so zuschlägt, habe ich nicht
erwartet. Eine Handlung, die mich schockiert hat. Die mich das Buch
für kurze Zeit zur Seite legen ließ, um Luft zu holen. Durchzuatmen
und mich dem zu stellen, was folgen würde. Trotz all der
Traurigkeit, die im Buch mitschwingt, all der Ohnmacht, mit der
Antoine belegt ist und die sich wie all die in der Geschichte
mitschwingenden Gefühle auf den Leser überträgt, ist es auch ein
Roman, der Hoffnung einen Raum bietet. Der ihr mehr und mehr erlaubt
an die Oberfläche zu treten und zu zeigen, dass es immer einen
Ausweg gibt und dass die Chance den Teufelskreis der Generationen zu
durchbrechen für jeden zur Verfügung steht.
Buchinfo:
Atlantik (August 2015)
282
Seiten
Hardcover
mit Schutzumschlag
20,00
€
Übersetzung:
Claudia Steinitz
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Um dieses Buch kreise ich schon länger und bin völlig unentschlossen, ob ich es nun lesen soll. Eine Leseprobe hat mcih vom Schreibstil her nicht so angesprochen - wenn ich jetzt aber deine Rezension lese, bekomme ich wieder Lust auf die Geschichte. Ich glaube, ich sollte sie doch mal lesen. :-)
AntwortenLöschenLG Sabine
Ich bin natürlich großer Fan von Delacourts Schreibe, kann aber auch verstehen, wenn sie jemandem zu poetisch ist.
LöschenWas hat dich denn daran gestört?
Also ich kann dir soviel verraten, dass eine wirklich, wirklich überraschende und auch ein klein wenig verstörende Handlung auftaucht, die den Leser so richtig durcheinander wirbelt. Aber eben auch extrem spannend und tiefgründig.
Liebe Grüße
Nanni