Nordkanada. Die
Einsamkeit der Wälder bietet Schutz, um zur Ruhe zu kommen. Das
Leben ausklingen zu lassen. Es nach eigenem Gefallen zu leben und
nach eigenem Gefallen zu beenden. Das ist Freiheit.
Deshalb fühlen sie
sich dort wohl. Tom und Charlie, ihre Hunde, und früher auch ihr
Freund Ted. Er ist vor kurzem verstorben. An Altersschwäche. Dass es
das heute noch gibt. Im Wald ist eben alles möglich. Der Wald hat
sein eigenes soziales System.
„Der
Tod ist ein alter Freund. Sie sprechen häufig von ihm. Er begleitet
sie schon so lange, dass sie seine Nähe zu spüren meinen.“
Diese Erfahrung
macht auch die Fotografin, als sie auf der Suche nach Ted, der als
einer der letzten Überlebenden der großen Brände unter dem Namen
Boychuck bekannt wurde, auf Tom und Charlie trifft. Den beiden geht
es gut in ihren Hütten im Wald. Sie möchten nicht gestört werden,
aber die Fotografin interessiert sich sehr für die Zwei, für die
Geschichten, die den alten Männern anzusehen sind. Die ihnen das
Leben auf die von Falten zerfurchten und vom Wetter gegerbten Körper
geschrieben hat.
„Das
hohe Alter schien ihr ein Hort der Freiheit zu sein, wo man sich
keinen Zwängen mehr unterwirft und seinen Geist auf Wanderschaft
schicken kann.“
Kurze Zeit später
taucht eine zweite Frau auf. Zart wie ein Vöglein, bis vor kurzem
eingesperrt in einen Käfig, der ihr Schutz und Sicherheit wie Enge
und Bedrängnis gleichermaßen geboten hat. Sie und Charlie nähern
sich an. Auf seine alten Tage scheint er tatsächlich noch einmal die
Liebe zu finden. Zart halten sie aneinander fest. Stützt einer den
anderen. Passen sie aufeinander auf. Denn Glück ist so zerbrechlich.
„Wenn
der Schmerz dich zerfrisst, bleibt kein Raum für andere Gefühle.“
Ich empfinde „Ein
Leben mehr“ als eins dieser besonderen Bücher. Leise und
eindringlich erobert es mein Herz mit seinen starken Protagonisten,
die so viel Leben auf dem Rücken tragen. Denen Erlebnisse ins
Gesicht geschrieben stehen und denen nichts so wichtig ist wie
Freiheit. Die Freiheit ihr Leben selbst zu gestalten und es nach
eigenem Ermessen zu beenden. Trotz ihres starken Willens wissen sie,
dass Leben bedeutet aufeinander zuzugehen, Kompromisse zu schließen
und es mit jenen zu teilen, die ihnen etwas bedeuten. Einem Hund,
einem Freund, einer Liebe.
Ich liebe das
Setting des Waldes. Bewege mich auf vertrautem Terrain, rieche den
Duft der Bäume, spüre die Ruhe des Blätterrauschens und verstehe,
warum Tom, Ted und Charlie sich ausgerechnet dorthin zurückgezogen
haben, warum die Fotografin immer wieder zurückkehren muss und warum
Marie-Desneige dort gleichermaßen Freiheit wie Angst spürt.
„Wenn
die Strömung dein Boot abtreibt, musst du eben anders rudern.“
Wie die Wurzeln der
alten Eichen Wasser aus dem Boden aufnehmen, sauge ich jeden Satz
Sauciers in mich auf. Lese langsam, bedächtig und bewusst, möchte
kein Wort verpassen. Lege das Buch immer mal wieder zur Seite, weil
ich nicht möchte, dass es endet. Und dann ist es doch soweit. Ich
kann es nicht umgehen. Verbringe meine Zeit zu gern in Charlies
Hütte, mit Tom am See. Habe den Roman in all seiner Schönheit, aber
auch Traurigkeit genossen. Vergessen werde ich sie nicht. Die alten
Männer ebenso wenig wie die beiden kauzigen Frauen.
„Zum
Glücklichsein braucht es nicht viel, man muss es nur wollen.“
Ich habe mir viele
Zitate notiert, herausgeschrieben und weiter empfohlen. In Begleitung
von Saucier, ihrer Geschichte über Glück, Natur, Liebe und
Freiheit, bin ich auf meiner eigenen Lebenstreppe eine Stufe weiter
gestiegen. Ein Gefühl, das die Richtigkeit meiner Buchauswahl
bestätigt.
Buchinfo:
Insel
(August 2015)
192
Seiten
Hardcover
mit Schutzumschlag
19,95
€
Übersetzung:
Sonja Finck
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