18.06.17

Lass die Leute reden ... - zu viel Liebe!

"Seit die Backenzähne der Räubertochter ihren Weg ins freie suchen, schläft sie sehr schlecht und will häufig auf den Arm. Ich trage sie nun wieder vermehrt in der Babytrage (Ergobaby)."
"Oh, oh, da musst du aber auch aufpassen, dass sie sich daran nicht gewöhnt."

An was bitte, liebe Mitmenschen, soll sich mein Kind nicht gewöhnen?

An das Bedürfnis nach Nähe?
An das Bedürfnis nach Geborgenheit?
An den Wunsch Körperkontakt zu Mutter / Vater zu haben?
Oder daran, dass ich versuche die kindlichen Bedürfnisse zu erfüllen?
Meine Tochter ist 15 Monate alt. Ein kleines Menschlein, das zumindest ein paar Dinge kennt, die es nicht möchte.

"Nein" ist ein ziemlich doofes Wort. Deshalb versucht sie auch erstmal sich darüber hinweg zu setzen. Die Welt ist gerade auch so extrem spannend, dass Verbote eine Erkundung nur einschränken.

Gerade in unserem Beispiel lässt sich schon ganz klar herauskristallisieren, wovor wir die Augen nicht verschließen können: die Tochter hat den Dickkopf der Mutter geerbt.

Es gibt Wünsche, die möchte sie durchsetzen. Notfalls mit wütendem Geschrei.

Ist der Moment, in dem sie mir ihre Ärmchen entgegen streckt und "Am" sagt, wirklich einer dieser Zeitpunkte?

Oder ist es nicht einfach nur das ganz natürliche Bedürfnis eines kleinen Wesens, das Evolutionsbedingt die ersten Jahre seines Lebens getragen werden möchte? Diesen Wunsch soll ich abschlagen? Ja besser sogar noch abgewöhnen?



Ich würde sagen meine Tochter und ich haben eine starke Bindung. Sie ist für ihr Alter recht selbstbewusst und scheut sich nicht davor auf Menschen zuzugehen. Sie probiert gerne Neues aus, ist neugierig und möchte am liebsten alles selbst machen.

Ich bin stolz darauf Teil dieses Entwicklungsprozesses zu sein, in dem ich ganz bestimmt nicht alles richtig mache. Aber ich bin mir sehr sicher, dass ich richtig damit liege, das Bedürfnis meines Kindes nach Nähe, unter anderem durch Tragen zu erfüllen.


Gut gemeinte Ratschläge nehme ich sehr gerne an, aber dieses "Achtung! Verwöhn dein Kind nicht mit zu viel Liebe!" ist einfach nur schrecklich. Oder sagt dein Mann / Frau / PartnerIn abends zu dir:"Bitte küss mich nicht, denn dann möchte ich das womöglich immer?"

Der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit, nach Nestwärme und der Interaktion zwischen Kind und vertrauten Menschen ist nichts Schlimmes. Ganz im Gegenteil. Wie viele erwachsene Menschen kennst du, die von sich selbst behaupten, nicht Bindungsfähig zu sein? Nicht in der Lage zu sein eine gleichmäßige, langanhaltende Beziehung - sei es zu Familie, PartnerIn oder Freunden - einzugehen? Oder immer wieder Beziehungen eingehen, weil sie den dringenden Wunsch verspüren, einen Menschen zu haben, der ihnen all das gibt, was ich gerade eben angesprochen habe.

Der Ursprung dafür liegt in den meisten Fällen in der Kindheit. Unerfüllte Wünsche, denen aus unterschiedlichen Gründen nicht Genüge getan wurde. Manchmal aus Unwissenheit, manchmal aus Faulheit, manchmal aus mangelnder Beziehungsfähigkeit, aber manchmal eben auch, weil die Eltern von anderen in ihrem instinktiven Handeln nicht bestärkt, sondern untergraben wurden.




Liebe Mütter (und natürlich Väter), lasst euch bitte nicht verunsichern.


1. habt ihr das feinste Gespür dafür, was euer Kind braucht. Ihr bemerkt auch schon die kleinsten Veränderungen im Verhalten eurer Kinder.

2. könnt ihr am besten einschätzen, ob euer Kind einen vermehrten Wunsch nach Nähe und Geborgenheit hat.

3. seid ihr diejenigen, die all die Liebe, die ihr eurem Kind entgegen bringt, auch wieder bekommt.

Bei Kleinkindern ist der vermehrte Wunsch nach Aufmerksamkeit, nach auf den Arm nehmen und herum tragen nun mal nicht das reine Anliegen aus Faulheit durch die Gegend getragen zu werden oder die Eltern mal ein bisschen zu nerven. Die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen ist anstrengend - keine Frage - aber dafür sind wir Eltern nun einmal da und alles, was wir im Kindesalter verpassen, können wir später nicht mehr nachholen.

Die kleinen Menschlein sind uns ausgeliefert, von uns abhängig. Aber das sind sie gerne. Und wenn sie häufiger auf den Arm wollen, dann eben genau aus dem Grund, weil sie uns lieb haben und zu diesem Zeitpunkt Liebe brauchen. Das ist mal mehr, mal weniger der Fall. Und ich kann euch versichern - wird dies nicht erfüllt, wird es auf lange, lange Sicht zu einer Zerreißprobe für euch alle.

Also, lasst die Leute reden (selbiges gilt übrigens auch für "Waaaas? Sie darf zu euch ins Bett? Da musst du aber wirklich aufpassen, dass sie nicht mit 20 noch bei euch schläft!"), handelt nach den Bedürfnissen eures Kindes und freut euch, dass sie die Nähe zu euch suchen. Oder habt ihr schon mal zu viel Liebe bekommen?



P.S.: Die kleine Räubertochter schläft seit vermehrtem Tragen übrigens wieder durch.

2 Kommentare:

  1. Danke für deinen tollen Beitrag, meine Liebe!
    Viele dieser Sätze habe ich in den vergangenen 2 Jahren auch gehört (vor allem, weil unser Pirat viel getragen wird und Nachts immer zu uns ins Bett zum kuscheln kommt) und kann gar nicht in Worte fassen, wie genervt ich davon bin. Okay, inzwischen kann ich den kleinen Mann nicht mehr so viel tragen, weil er mir einfach zu schwer geworden ist, aber dann setzen wir uns halt hin und kuscheln so. Ich verstehe nicht, was daran so verwerflich sein soll. Aber ich will es auch gar nicht verstehen, um ehrlich zu sein.

    Ganz liebe Grüße
    Maike

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    1. Liebe Maike,

      viele Leute laufen halt auch immer noch mit dem Gedanken durch die Welt, dass man ein Kind eben mal nebenbei bekommt. Das Kind soll sich in den Alltag fügen und auf gar keinen Fall sollte man sich nur mit dem Kind beschäftigen und das Leben danach ausrichten. Ich bin der Meinung, dass wir alle wissen, was auf uns zukommt, wenn wir ein Kind bekommen. Nämlich, dass es nicht nebenher läuft und ganz viel Aufmerksamkeit und Zuneigung benötigt. Und in vielen Situationen eben noch mehr, als vorher. Wenn ich mich dazu entscheide Mutter zu werden, dann mit allem Drum und Dran.
      Schön zu hören, dass es doch auch viele Menschen gibt, die ähnlich denken :)

      Viele liebe Grüße
      Nanni

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