11.04.18

Mädchen in Scherben | Kathleen Glasgow




Charlotte ist zerbrochen. Mit nur siebzehn Jahren hat sie mehr verloren, als die meisten Menschen im Leben. Mehr als ein Mensch ertragen kann. Aber sie hat gelernt, wie man vergisst. Wie man seinen Körper gefühllos gegen Schmerz macht. Jede neue Narbe macht Charlottes Herz ein wenig härter, doch irgendwann begreift sie, dass sie mehr ist, als die Summe ihrer Verluste – und beginnt zu kämpfen! 
Die bewegende Geschichte einer jungen Frau, die stärker als ihr Schicksal ist.(Text & Cover: © S. Fischerverlage; Foto: © N. Eppner)


Der Einstieg in "Mädchen in Scherben" ist heftig. Protagonistin Charlotte hat einen Suizidversuch hinter sich und ist deshalb in einer psychiatrischen Klinik. Sie spricht nicht. Ist gekennzeichnet von Narben und Verletzungen. Offensichtlichen, die sie auf der Haut trägt, und jenen, die nicht zu sehen sind, die ihre Seele tief beschädigt haben. Charlotte lebt mit Selbstverletzendem Verhalten. Ihrem Weg dem Schmerz im Inneren zu entkommen.

Der erste Abschnitt des Romans widmet sich Charlottes Aufenthalt in der Klinik. Ich bekomme einige Hintergrundinformationen zu ihrer Vorgeschichte, zu ihren aktuellen Gefühlen, zu ihrem Charakter und ihrer Schwierigkeit mit Mitmenschen in Kontakt zu treten. Alles sehr stimmig. Sehr authentisch. Ich frage mich, ob Glasgow berufliche oder private Erfahrungen mit Selbstverletzendem Verhalten gemacht hat, denn vor allem die Gefühlswelt der Patientinnen wird sehr glaubhaft und realistisch dargestellt. Die Schreibe ist dem Inhalt perfekt angepasst. Vorsichtig, von einer eigenen Poesie, zurückhaltend und verletzlich. Sie trägt dazu bei, dass Charlottes Geschichte so richtig tief unter die Haut geht.

Dann beginnt ein neuer Abschnitt im Buch und damit die einzige, aber doch größere Kritik, die ich an der Geschichte habe. Ich wünschte, die Autorin hätte das ein wenig anders gelöst. Es gibt Alternativen, aber sie hat diesen Weg gewählt und damit leider ein wenig Glaubwürdigkeit verloren.

Der Rest des Romans dreht sich darum wie Charlotte zurück ins Leben findet. Wie sie ums Überleben kämpfen muss, weil sie nur wenig Geld zur Verfügung ist. Sie muss lernen mit Alltagsroutine klarzukommen. Oftmals schwierig für Menschen, die im festen Rahmen einer Einrichtung gelebt haben, die Sicherheit geboten hat. 

Vor allem muss Charlotte wieder lernen mit Menschen umzugehen. Herauszufiltern auf wen sie sich verlassen kann und von wem sie sich besser fernhält, weil sie sonst direkt wieder in alte Handlungsmuster verfällt. Sie muss lernen der Dunkelheit zu widerstehen und Hürden zu überwinden, ohne sich zu verletzen. Damit einher geht eine neue Sichtweise auf sich selbst. Eine Verschiebung von Schuldgefühlen und Verantwortung. 

Kathleen Glasgow verändert für diesen Abschnitt ihre Schreibe. Wählt eine schnellere, vielleicht auch etwas härtere Sprache. Der Teil des Romans ist nicht weniger dramatisch. Diesmal ist es aber nicht die Sprache, die uns tief treffen soll, sondern die Handlungen der Protagonisten, die verletzen, verstören und gleichzeitig für Hoffnung sorgen.

Ich würde gerne so viel mehr über diesen Teil der Geschichte sagen, aber es gibt darin so viel, dass man selbst entdecken sollte. Zu schnell ist zu viel zum Inhalt verraten. Viele Überraschungen warten dort. Und obwohl dieser Abschnitt so ganz anders ist, als der sehr emotionale erste Teil des Romans, ist er richtig, richtig gut. Die Autorin traut sich was. Entwickelt Figuren, die so gar nicht rund laufen und die mich selbst in Konflikte stürzen. 

"Mädchen in Scherben" bekommt trotz dieses dicken Kritikpunkts, den es bei mir verursacht, eine ganz klare Leseempfehlung. Das Buch bietet Identifikationspotential für Mädchen, die in einer ähnlichen Situation sind und zeigt, dass es möglich ist, aus dieser Spirale herauszugelangen. Dass es möglich ist, sich abzugrenzen, und eigene Wege einzuschlagen. Dass manchmal die Menschen Freunde sind, von denen man es nicht vermutet hätte und dass es sich lohnt die eigenen Träume im Blick zu behalten, auch wenn die derzeitige Lage noch so aussichtslos erscheint. Ein Buch, das Mut macht. Modern und ergreifend erzählt.



Buchinfo:

S. Fischer (2018)
448 Seiten 
Klappenbroschur
14,00 €
ÜBERSETZUNG: 

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Rezension: © 2018, Nanni Eppner

6 Kommentare:

  1. Ohhh, dieses Buch will ich auch schon lesen, seit es erschienen ist! Leider hatten die Buchhandlungen, in denen ich bisher gefragt habe, es nicht auf Lager und Bestellen war irgendwie ungünstig, aber ich glaube, langsam muss ich mich darum kümmern, dass es so bald wie möglich in meinem Regal steht... :))

    xx Isa

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    1. Hallo Isa,

      ich bin auch immer wieder überrascht, dass einige Buchhandlungen aktuelle Titel, die eigentlich auch interessant sind und nicht nur ein kleines Publikum ansprechen, nicht vorrätig haben. Aber Romantasy oder Liebesromane haben es dann meist doch einfacher, als solche Titel.
      Ich bin auf jeden Fall gespannt, wie es dir gefallen wird :)

      Liebe Grüße,
      Nanni

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  2. Hallo,
    toll geschrieben, dein Stil gefällt mir gut.
    Ich hätte mir auch eine etwas längere Beschreibung des intensiven Klinikaufenthalts gewünscht, auch wenn ich ein paar Startschwierigkeiten hatte, gefiel mir dieser erste Teil wirklich gut.
    Auch das Ende fand ich dann wieder stark, mit dem Mittelteil hatte ich so meine Schwierigkeiten.
    Lieben Grüße
    Anja

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    1. Liebe Anja,
      vielen Dank für deine lieben Worte. Darüber freue ich mich wirklich sehr :)
      Ich hätte mir halt auch gut vorstellen können, dass der Krankenhausaufenthalt als eine Art Rückblick dargestellt wird. Dann wäre es für mich einfach noch stimmiger gewesen. So - finde ich - muss man Teil I und II der Geschichte fast als voneinander unabhängige Stories betrachten. Sowohl inhaltlich, als auch sprachlich. Die Schreibe der Autorin gefällt mir aber in beiden Abschnitten sehr gut.
      Liebe Grüße und ein schönes Wochenende :)
      Nanni

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  3. Hi Nanni,
    tolle Rezension.
    Ich durfte es ja auch in der Leserunde lesen und muss sagen, dass das "Entlassen " in die reale Welt auch nicht so ganz meinen Vorstellungen entsprach. Daher hatte mich das Buch dann teilweise auch wirklich verloren. Als es um die Geschichte mit Johnnie ging, wurd es besser, obwohl das Ende absehbar war ;)
    LG Julia

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    1. Liebe Julia,
      vielen Dank :)
      Ich musste nach diesem Abschnitt auch echt schlucken und dann für mich entscheiden, ob ich mich weiter daran aufreiben möchte oder aber, ob ich darüber hinwegsehen und mich auf den Teil des Buchs einlassen möchte, so wie er ist. Gefühlt sind es ja schon irgendwie fast zwei Teile. Sprachlich wie inhaltlich. Aber beide für sich ziemlich gut :D
      Ich würde ein weiteres Buch der Autorin auf jeden Fall auch wieder lesen.

      Liebe Grüße,
      Nanni

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