In seinem autobiographischen Roman ›Im Herzen der Gewalt‹ rekonstruiert der französische Autor Édouard Louis die Geschehnisse einer dramatischen Nacht, die sein Leben für immer verändert. Auf der Pariser Place de la République begegnet Édouard in einer Dezembernacht einem jungen Mann. Eigentlich will er nach Hause, aber sie kommen ins Gespräch. Es ist schnell klar, es ist eine spontane Begegnung, Édouard nimmt ihn, Reda, einen Immigrantensohn mit Wurzeln in Algerien, mit in seine kleine Wohnung. Sie reden, sie lachen. Aber was als zarter Flirt beginnt, schlägt um in eine Nacht, an deren Ende Reda Édouard mit einer Waffe bedrohen wird. Indem er von Kindheit, Begehren, Migration und Rassismus erzählt, macht Louis unsichtbare Formen der Gewalt sichtbar. Ein Roman, der wie schon ›Das Ende von Eddy‹ mitten ins Herz unserer Gegenwart zielt – politisch, mitreißend, hellwach.
(Text & Cover: © S. Fischerverlage; Foto: © N. Eppner)
Édouard Louis kann schreiben. Kann Menschen, Emotionen, Gefühlen eine Stimme geben, ohne seine eigene zu verlieren, obwohl er Texte schreibt, die von Gewalt erzählen, die er am eigenen Leib erlebt hat. Sein Debütroman "Das Ende von Eddy" ist angelehnt an seine eigenen Erlebnisse in dem kleinen Dorf, in dem er aufgewachsen ist. Hass und Wut wurden ihm entgegen geschleudert. In der eigenen Familie. Im Bekanntenkreis.
"Im Herzen der Gewalt" ist ein komplett autobiografischer Text, der eins der schlimmsten Erlebnisse in Louis' Leben erzählt. Aus einem kleinen Flirt wird ein Akt der Gewalt. Louis wird bedroht, vergewaltigt, misshandelt und sieht dem Tod ins Auge. Bis dato hätte ich mir nicht annähernd vorstellen können, was er mitgemacht hat, was dies in ihm ausgelöst hat. Doch Louis schreibt so genial, so eindringlich, so poetisch und gleichzeitig radikal klar und deutlich, dass ich mir zumindest ein wenig ein Bild davon machen kann. Durch die Tat, die er über sich ergehen lassen muss, verliert er sich selbst. Findet sich in seiner Kindheit wieder. In Situationen, die er längst verdrängt hatte. Er vereinfacht uns beiden ihn zu verstehen. Nicht jedoch das, was ihm passiert ist.
Um nicht nur seine Geschichte, sondern viele damit verbundene Fragen wie z.B. woher kommen Gewalt und Hass? - aufs Papier zu bringen, lässt er seinen Roman aus verschiedenen Perspektiven erzählen. Da ich anfangs nicht genau wusste, wer eigentlich meine Gesprächspartner sind, hatte ich ein wenig Schwierigkeiten in den Roman hineinzufinden. Doch Louis gelingt es so mühelos jedem Erzähler einen eigenen Ton zu geben, so dass es nach einiger Zeit kein Problem mehr ist, diese zu unterscheiden. Warum er seine Schwester so ungern sieht, ist mir auf jeden Fall klar. Ich finde sie anstrengend, nervig und ihre Ansichten, die Kritik, die sie an ihrem Bruder ausübt, unverschämt und traurig.
Wie kommt es, dass Hass, Wut, Gewalt so plötzlich über uns hereinbrechen? Über Opfer, aber auch über Täter? Ich bin fast gewillt an die Schlange zu glauben, die den Hass in unsere Herzen sät, so wenig ist er in den meisten Fällen nachvollziehbar. Schon gar nicht, wenn er sich gegen vermeintliche Randgruppen richtet. Wenn er zu Homophobie, Fremdenfeindlichkeit oder, oder führt.
Louis reibt seine LeserInnen auf. Hinterlässt Schmerz und Traurigkeit. Aber eben das benötigen wir, um aus der Lethargie des Wohlbefindens herauszukommen. Uns geht es gut, also vergessen wir schnell diejenigen, denen es nicht so gut geht. Vergessen achtsam zu sein und den Verlauf der Welt im Blick zu haben. Hass, Wut und Gewalt sind überall. Im kleinen, wie im großen zu finden und es ist an uns dagegen anzugehen. Nicht mit Gewalt, sondern mit klugen Worten, mit Akzeptanz, Toleranz und mit Intelligenz. Dadurch, dass wir immer wieder hinterfragen und nicht die Augen verschließen. Traurig, dass Bücher wie "Im Herzen der Gewalt" auf reellen Erlebnissen beruhen. Schade, dass wir solche Geschichten brauchen, um immer wieder über diese Themen nachzudenken. Ärgerlich, dass sie vermutlich nicht von den Menschen gelesen werden, die es tatsächlich nötig hätten.
Buchinfo:
S. Fischerverlage (2018)
Hardcover
224 Seiten
20,00 €
ÜBERSETZUNG: Hinrich Schmidt-Henkel
Rezension: © 2018, Nanni Eppner
Das Buch habe ich mir letztes Jahr im Herbst notiert, als es im Rahmen einer Fortbildungsreihe, die ich organisiere, vorgestellt wurde. Leider habe ich es bis jetzt noch immer nicht gelesen, aber nach deiner Rezension rücke ich es jetzt auf meiner Liste wieder weiter nach oben.
AntwortenLöschen