15.06.21

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid - Alena Schröder





 

In Berlin tobt das Leben, nur die 27-jährige Hannah spürt, dass ihres noch nicht angefangen hat. Ihre Großmutter Evelyn hingegen kann nach beinahe hundert Jahren das Ende kaum erwarten. Ein Brief aus Israel verändert alles. Darin wird Evelyn als Erbin eines geraubten und verschollenen Kunstvermögens ausgewiesen. Die alte Frau aber hüllt sich in Schweigen. Warum weiß Hannah nichts von der jüdischen Familie? Und weshalb weigert sich ihre einzige lebende Verwandte, über die Vergangenheit und besonders über ihre Mutter Senta zu sprechen?

Die Spur der Bilder führt zurück in die 20er Jahre, zu einem eigensinnigen Mädchen. Gefangen in einer Ehe mit einem hochdekorierten Fliegerhelden, lässt Senta alles zurück, um frei zu sein. Doch es brechen dunkle Zeiten an.
(Text & Cover: ©dtv; Foto: ©N. Eppner)

Auf den ersten Blick sprach mich "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" gar nicht so an, weil ich in der letzten Zeit viele Bücher zum Thema Zweiter Weltkrieg gelesen habe, aber dann sah ich die Buchpremiere mit der Autorin und Buchhändlerin Sarah Reul auf Instagram und war begeistert vom Buch und der Autorin. Alena Schröder geht ganz anders an die Geschichte heran, als ich es bisher kannte. Weniger romantisiert, weniger pathetisch, viel mehr den einzelnen Menschen im Blick haltend, den Fokus auf Einzelschicksale richtend. Vielleicht ist es ihr Hintergrund als Journalistin, der sie bei jeder Figur so in die Tiefe gehen lässt.

Erzählt wird der Roman auf zwei Ebenen. Wir begleiten die 27-jährige Hannah, die sich gerade irgendwie in der Schwebe befindet. Stehend im Prozess des Lebens. Angefangene Doktorarbeit, Affäre mit dem verheirateten Doktorvater, schwierige familiäre Vergangenheit und Oma Evelyn im Altersheim. Als ein Brief aus Israel eintrifft, versucht sie die Geheimnisse von Evelyns Kindheit und Jugend zu ergründen. Mehr zu erfahren über deren Mutter, die tot geschwiegen wird. Doch Evelyn, die als junge Frau selbstständig sein und Kampfgeist beweisen musste, ist ein harter Brocken. Sie möchte die Vergangenheit ruhen lassen, die nun eh nicht mehr zu ändern ist, und den Schmerz nicht wieder aufbrechen lassen.

"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" ist so spannend geschrieben, dass ich es innerhalb von zwei Tagen durchlas. Es sind vor allem die Figuren, denen Schröder mich so nahe bringen konnte, die mich fesselten. Aber auch die Gedanken, die von der Autorin angestoßen wurde. Immer wieder das was wir seit Generationen in uns tragen, das uns beeinflusst, ohne dass wir vielleicht davon wissen. Gerade die Kriegskinder und -enkel tragen oftmals schwere Lasten auf sich. Bedingt durch erschütternde Erlebnisse, aber auch durch die Konventionen, Leitlinien und Denkweisen ihrer Zeit. Die Trennung von einem Fliegerhelden war eine unverzeihliche Handlung.

Schröder fordert auf eigene Denkmuster zu hinterfragen. Im Mittelpunkt steht die Frage nach Gut und Böse. Ist es gut ein Kind ohne Mutter zu versorgen? Oder ist es böse gleichzeitig ein ganzes Volk zu hassen? Ist es Böse das eigene Kind zurückzulassen oder gut eigene Bedürfnisse und Nöte zu erkennen? Gerade in Bezug auf den Nationalsozialismus ist die Frage nach Gut und Böse etwas, das ganze Generationen beschäftigt und belastet.

Alena Schröders Schreibe hat mich so sehr abgeholt. Der Ernst, mit dem sie Hannahs Krise behandelt, und natürlich ihre Lebensgeschichte aufarbeitet, aber auch der ironisch trockene Humor, mit denen sie über andere Figuren schreibt. Wie sie jedem Charakter einen eigenen Ton verleiht, der dynamisch ist und zu Situation und Veränderung der Perspektiven passt. 

Eine große Leseempfehlung für "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid.


Buchinfo:

Hardcover 22,00 €
368 Seiten


Rezensionen: ©2021, Nanni Eppner

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