Ildingen, 1950er Jahre. Evelyn Borowski hat alles, was sie sich je erträumt hat: Ein Eigenheim mit Garten, einen fürsorglichen Mann und das lang erwartete Töchterchen Silvia. Trotzdem ist sie nicht glücklich: Sie vermisst ihren Beruf als Ärztin und fühlt sich fremd und allein in dieser süddeutschen Kleinstadt. Betti, Ihre Freundin und Schwägerin, ist unverheiratet und kümmert sich deshalb um die Eltern. Mit losem Mundwerk und rasantem Fahrstil sorgt sie für reichlich Ärger.(Text & Cover: ©dtv; Foto: ©L. Eppner)
Alena Schröder ist es wieder gelungen ein Stück Zeitgeschichte interessant niederzuschreiben, zu verpacken in private Schicksale, es lebendig zu gestalten und dafür zu sorgen, dass ich mich nachhaltig damit beschäftige.
Wir kehren zurück in die Familiengeschichte von Hanna, Evelyn und Silvia, die wir schon aus "Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" kennen. Beide Bücher sind trotzdem sehr gut als Stand Alone zu lesen. Jede Geschichte für sich ist spannend, trägt die Facetten der Generation in sich und zeigt wie sehr diese doch miteinander verwoben sind in Ablehnung und Projektion.
Erzählt wird auf zwei Ebenen. Beginnend in den 80ern, in der Silvia als Aussteigertochter in einer Berlin lebend, eine kleine Tochter zur Welt bringt, während der Vater sich roh aus der Affäre zieht. Selbst Mutter werdend, steigt die Sehnsucht nach der eigenen Mutter, obwohl die Beziehung seit jeher kühl und distanziert ist. Silvia fährt in die Heimat und begegnet dort nicht der resoluten Ärztin, die ihr bekannt war, sondern einer Frau, die nicht mehr so genau weiß, was ihr Leben noch ausmacht.
Was das einmal war, erfahren wir auf der zweiten Erzählebene. In den 50er Jahren in denen Evelyn einen jungen Arzt heiratet, der vom Krieg gezeichnet, zurück nach Hause findet. Er setzt sich dafür ein, dass Evelyn auch Medizin studieren kann. Sie geht darin auf, ist fachlich hoch qualifiziert und hat ein Händchen für Erkrankte wie Verwundete. Doch die gesellschaftlichen Konstrukte dieser Zeit nagen an ihr. Sie bleibt die Frau Doktor, weil sie die Frau eines Doktors ist, man verlangt nach einem Mann, einem, der kompetent und nicht fehl am Platz ist, weil die zugeschriebene Rolle eine ganz andere ist. Hausfrau zu sein. Still, artig, brav. Darin aufgehend den Mann zu umsorgen.
Evelyn wünscht sich ja ein Kind. Hat ja nichts dagegen. Als es dann endlich da ist, versucht sie alle Erwartungen zu erfüllen. Doch es gelingt ihr nicht. Sie kann einen Menschen operieren, ein Leben retten, aber keinen Pudding kochen. Sie fühlt sich eingeengt vom Korsett der Anforderungen, der Erwartungen, den Blicken der Anderen, den Bedürfnissen des Kindes, die sie nicht versteht. Sie versucht eine gute Mutter zu sein, aber sie weiß nicht wie. Es erfüllt sie nicht und von Tag zu Tag wird sie unzufriedener.
Silvia hat die Befürchtung es liege an ihr. Sie sei nicht klug genug, nicht richtig als Tochter, nicht wertvoll genug. Prozesse zwischen Eltern und Kindern, die so häufig einsetzen, wenn es um Beschneidungen der eigenen Lebensentwürfe geht. Völlige Hingabe von Mutter und Kind wird damals gefordert und hat sich bis heute wenig geändert. Dass dies keinen guten Verlauf nimmt, erkennen manche heute, damals noch viel wenigere.
Erschreckend, dass sich so wenig geändert hat. Dass immer noch zu wenig gesprochen wird. Innerfamiliär, Innergesellschaftlich. Dass es viele Schubladen gibt, aber nur wenige davon akzeptiert werden. Muttergefühle und die Sehnsucht nach der Mutter bleiben, aber es gibt verschiedene Modelle, wie sie ausgelebt werden können. Ein Umdenken wäre erforderlich. Auf männlicher, wie weiblicher Seite. Evelyn und Silvia machen es vor.
"Bei euch ist es immer so unheimlich still" ist ein sehr gutes Buch. Wichtig. Lesenswert. Vom Umdenken und Verzeihen und anderen Prozessen, die wir alle, individuell, aber auch gesellschaftlich dringend notwendig haben.
Buchinfo:
336 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
24,- €
Rezensionen: ©2023, Nanni Eppner
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