13.06.19

Die Stille zwischen den Sekunden | Tania Witte



Nur knapp ist Mara einem Bombenattentat in der U-Bahn entgangen. Ihre Mitschüler nennen sie seither „Das Mädchen, das überlebt hat“ und erwarten Betroffenheit von ihr. Aber Mara hat ganz andere Sorgen. Ihre Freundin Sirîn meldet sich immer seltener und scheint plötzlich komplett unerreichbar. Je mehr Mara ihr zu helfen versucht, desto mehr Unverständnis und Ablehnung erntet sie. Was verheimlichen alle vor ihr? Erst als sich ihr Schwarm Chriso in die Suche einschaltet, kommt die erschütternde Wahrheit ans Licht.
(Text & Cover: © Arena; Foto: © N. Eppner)


Ich bin durch. Richtig durch. Nicht nur mit dem Buch, sondern auch mit den Nerven. Krass, was Tania Witte da aufgebaut hat. Ich bin ein bisschen sprachlos. Meine Emotionen stehen Kopf. Ich bin geplättet.

Es ist etwas schwierig das Buch so zu besprechen, wie es verdient hätte besprochen zu werden, ohne zu viel zu verraten. Tania Witte nimmt eine Spur auf, die ich zu Beginn nicht vermutet hätte. Das Ende ist so unerwartet wie logisch und macht es dadurch zu etwas ganz Besonderem.

Auch innerhalb der Geschichte gibt es viel Unerwartetes. Viel zu entdecken. Auf direktem Weg, aber auch zwischen den Zeilen. Protagonistin Mara soll so viel Normalität erfahren, wie nach diesem Schock eben möglich ist. Es ist etwas ganz schreckliches passiert, aber das Leben geht weiter. Muss weiter gehen.

Mara betreibt ein Kochblog. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Sirin. Sirin stammt aus einer Flüchtlingsfamilie. Ihr Bruder ist Opfer eines Krieges geworden, an dem die Familie nicht beteiligt ist, der sie aber trotzdem betrifft. Sirins Vater versucht das beste aus dem neuen Leben in Deutschland zu machen, Sirin und ihre Brüder sind ganz gut integriert, haben Freunde, haben ein neues Zuhause gefunden. Doch Sirins Mutter ist schwer traumatisiert. 

Die Verarbeitung eines Traumas geschieht auf unterschiedliche Art. Sirins Mutter sieht sich immer wieder mit Erinnerungen konfrontiert. Anschläge wie der, dem Mara entkommen ist, rufen Erinnerungen wach. Dunkle, schwarze Erinnerungen, die sie nicht verdrängen konnte. Verdrängung ist ein weiterer Weg, den ein Trauma gehen kann. 

Tania Witte baut geschickt unterschiedliche, sehr wichtige Themen in ihren Roman ein, ohne dass es wie eine Aneinanderreihung oder Aufzählung wird. Anfangs war mir das nicht ganz klar und ich fragte mich, warum sie so ein gewichtiges Ereignis wie einen Terroranschlag als Einstieg wählt und dann sofort zum Alltag übergeht. Aber dann habe ich Stück für Stück verstanden, was sie mit ihrer Geschichte eigentlich erzählen möchte. Ich möchte nicht alle Themen explizit ansprechen, denn ich möchte keiner Leserin, keinem Leser die Möglichkeit nehmen, die Freude daran, die verschiedenen Themen selbst zu entdecken und mit eigenen Gedanken zu erfassen.

Es gibt immer verschiedene Wege mit Ereignissen, mit Erlebtem umzugehen. Es gibt immer verschiedene Perspektiven, immer verschiedene Wege zu handeln. Schwarz-weiß-denken sollte keinen Raum bekommen. Schwarz-weiß-denken führt zu Unverständnis, zu Intoleranz, zu Hass. 

Mit "Die Stille zwischen den Sekunden" schafft Tania Witte ein Komplex für Toleranz. Es gibt Chriso, diesen Jungen, der im Internet oberflächlich wirkt und davon profitiert sich über andere lustig zu machen, der aber im real life ganz anders ist. Das eine ist Darstellung, das andere ist Charakter. Es gibt eine kurdische Familie, die lebensfroh erscheint, die aber Dinge ansehen und erleben musste, die ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche. Es gibt Mara.

Auch jetzt noch bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an die Geschichte denke. Es ist schon ein wenig her, dass ich das Buch gelesen habe, aber ich musste es erst ein wenig sacken lassen, bevor ich meine Gedanken dazu in Worte fassen konnte. Erst im Nachhinein fällt mir auf wie handwerklich gut gemacht dieser Roman ist. Zurecht hat Tania Witte ein Stipendium für ihre Arbeit an diesem Buch erhalten. Es ist so fein verästelt, so sensibel, so emotional, aber auch auf seine eigene Art manipulativ. Ohne, dass wir es merken lenkt uns Tania Witte so, dass der Schock am Ende umso größer ist. Dass unsere Gedanken sich um andere Dinge drehen, als das, was uns letztendlich emotional in den Graben reißt. 

"Die Stille zwischen den Sekunden" ist ein richtig, richtig gutes Buch, das psychologisch arbeitet und mich emotional zerrissen hat. Ein Roman, den ich sehr gerne weiterempfehle.



Buchinfo:

Arena (2019)
296 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
15,00 €


Rezensionen: © 2019, Nanni Eppner

2 Kommentare:

  1. Ich habe von deiner Rezension nur den ersten und den letzten Absatz gelesen, aber es bestätigt mir, dass das Buch zu Recht auf meiner Wunschliste ist. :)

    Mal sehen, wann es mir mal in einer Buchhandlung über den Weg läuft. Ich glaube, dann muss es mit. :)

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    1. Mal sehen, wann ich es mal schaffe, dir mein Buch zu schicken :D

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