Die Wolken hängen schwer über der Geest, als Ingwer Feddersen, 49, in sein Heimatdorf zurückkehrt. Er hat hier noch etwas gutzumachen. Großmutter Ella ist dabei, ihren Verstand zu verlieren, Großvater Sönke hält in seinem alten Dorfkrug stur die Stellung. Er hat die besten Zeiten hinter sich, genau wie das ganze Dorf. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Hecken und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und den Alten mit dem Gasthof sitzen ließ? Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn.
(Text & Cover: © Randomhouse; Foto: © N. Eppner)
"Mittagsstunde" fühlt sich an wie ein Tag auf dem Land. Ein Besuch in einem Dorf, das ein Dorf meiner Heimat sein könnte. Ich fühle mich zurückversetzt zu all den kleinen Problemen und Wehwehchen, zu den Geheimnissen, die mal mehr, mal weniger schwer wiegen, zu Hoffnungen, Sehnsüchten, Träumen und dem Abschied von eben diesen.
Wie auch "Altes Land" ist "Mittagsstunde" in einem ruhigen Ton erzählt, der von Sprecherin Hannelore Hoger perfekt aufgegriffen wurde. Es gibt keine Spannungsbögen und doch muss ich immer wieder zurückkehren zum Roman. Es ist die Dramatik der kleinen Dinge, der kleinen Wendungen, der einzelnen Schicksale, die an den Roman und vor allem an dessen Figuren fesselt.
Wer Hansen liest / Hoger hört, muss zurückfahren. Entschleunigen. Darf keine Rasanz erwarten. Weder im Erzählstil, noch in den Handlungen. Es gibt etliche Geheimnisse, die manchmal keine sind, und es gibt Wendungen. Wenige, kaum unerwartete.
Hansen hat ihren eigenen Stil. Passend für ihre Romane, die gefühlt aus der Zeit fallen. So wie auch ihre Figuren. Charaktere, von denen man glaubt, dass es solche nicht mehr gibt, und die doch vielerorts noch anzutreffen sind. Auf dem Dorf. Darf ich als Dorfkind sagen.
Die Stimmung, die Mittagsstunde transportiert, ist etwas, das mir auch schon im echten Leben begegnet ist. In Dörfern, in denen der Altersdurchschnitt steigt, weil die jungen Leute weggehen. In die Stadt ziehen. Junge Menschen, die beim Heimkommen eine gewisse Sehnsucht verspüren und doch wieder weggehen. Die immer seltener wiederkommen und immer länger fortbleiben, bis das Vergessen das Heimweh weggespült hat.
Hansen erzählt von einem Wechsel der Generationen, einem Wechsel der Ansprüche und der Wünsche. Vom Verfall einer vertrauten Welt und davon, dass etwas Neues etwas Gutes sein kann. Dass aus dem Wagnis, den eigenen Ort der Sicherheit zu verlassen, etwas Gutes entspringen kann. In ihrem Erzählton, den Hoger wiedergibt, als wäre es ihr eigener. Der mir in "Altes Land" extrem gut gefallen und in "Mittagsstunde" etwas zu langsam war. Ich spreche gerne eine Empfehlung für die Kombi Hansen / Hoger aus.
Hörbuchinfo:
Randomhouse Audio (Oktober 2018)
9 CDs
11 Std 31 Min
22,00 €
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