30.09.20

Alte Sorten | Ewald Arenz



Sally und Liss: zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sally, kurz vor dem Abitur, will einfach in Ruhe gelassen werden. Sie hasst so ziemlich alles: Angebote, Vorschriften, Regeln, Erwachsene. Fragen hasst sie am meisten, vor allem die nach ihrem Aussehen.Liss ist eine starke, verschlossene Frau, die die Arbeit, die auf dem Hof anfällt, problemlos zu meistern scheint. Schon beim ersten Gespräch der beiden stellt Sally fest, dass Liss anders ist als andere Erwachsene. Kein heimliches Mustern, kein voreiliges Urteilen, keine miss­trau­ischen Fragen. Liss bietet ihr an, auf dem Hof zu übernachten. Aus einer Nacht werden Wochen. Für Sally ist die ältere Frau ein Rätsel. Was ist das für Eine, die nie über sich spricht, die das Haus, in dem die frühere Anwesenheit anderer noch deutlich zu spüren ist, allein bewohnt? Während sie gemeinsam Bäume auszeichnen, Kartoffeln ernten und Liss die alten Birnensorten in ihrem Obstgarten beschreibt, deren Geschmack Sally so liebt, kommen sich die beiden Frauen näher. Und erfahren nach und nach von den Verletzungen, die ihnen zugefügt wurden.
(Text & Cover: © DuMont; Foto: © N. Eppner)


Schon die ersten Worte aus "Alte Sorten" legen sich wie eine warme Decke um mich. Ich möchte mehr davon. Mehr von Arenz Schreibe, mehr Zeit mit Liss und Sally. Was für eine kraftvolle, intensive Geschichte steckt da zwischen diesen zarten, fast poetisch anmutenden Sätzen. Es ist der Kontrast der beiden Frauen, der sich in der Sprache wiederspiegelt. Beide sind gebrannt, sind vorsichtig, halten Abstand, weil sie in der Vergangenheit aufgerieben wurden von zwischenmenschlichen Kontakten. Weil sie lediglich auf zerbrochene Beziehungen zurückschauen können. Ihre Herzen sind wund, aber stark. 

Als Sally und Liss sich begegnen, ist es, als ob sie auf einer Wellenlänge schwimmen. Von Harmonie weit entfernt, scheint es ein stilles Einverständnis zu geben. Eine Übereinkunft, die ich von außen spüren kann, der aber weder Liss, noch Sally trauen. Immer wieder stellen sie Beziehungsanfragen an die andere. Sally versucht auszureizen, ob sie Liss trauen kann, wird mal laut, mal intensiv, mal provokant. Liss schweigt, ist still, versucht keine falschen Worte in Bewegung zu bringen und Aggressionen und Ungewissheit in Arbeit umzuwandeln. Arbeiten, die Hände bewegen, den Körper an Grenzen zu führen hat noch immer geholfen. 

Beide Frauen tragen ein Geheimnis in sich. Nach und nach erfahre ich, welchen Weg ihr jeweiliges Leben einschlug. Bei Sally habe ich schnell Vermutungen, die sich bestätigen. Sie fühlte sich bisher fehl am Platz und bemerkt gar nicht, wie sehr sie bei Liss, in der Natur, auf dem Hof ankommt. Es ist schön ihr dabei zuzusehen. Mit Glück kann sie noch nicht so gut umgehen. Reagiert oft impulsiv, wenn es ihr zu Nahe kommt. Auch Liss hat in ihrem Leben nur selten Glück gehabt, konserviert die wenigen Momente, in denen sie glücklich war, hütet die Gedanken daran wie einen Schatz. Nur langsam finden die beiden Frauen wieder zu sich selbst. Und auch am Ende des Romans scheint es noch sehr zerbrechlich zu sein. Das ist gut. Das ist authentisch. Keine Wunderheilung. Einfach der Weg des Lebens.

Absolute Leseempfehlung für diese Verzauberung von Sprache, von Einblicken in das Seelenleben zweier Figuren, für eine Geschichte über Glück, Selbstliebe und Stärke.


Buchinfo:

DuMont (2019)
256 Seiten
Taschenbuch 10,00 €


Rezensionen: © 2020, Nanni Eppner

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