15.09.22

Lügen über meine Mutter | Daniela Dröscher




 

»Lügen über meine Mutter« ist zweierlei zugleich: die Erzählung einer Kindheit im Hunsrück der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Und es ist eine Befragung des Geschehens aus der heutigen Perspektive: Was ist damals wirklich passiert? Was wurde verheimlicht, worüber wurde gelogen? Und was sagt uns das alles über den größeren Zusammenhang: die Gesellschaft, die ständig auf uns einwirkt, ob wir wollen oder nicht?

Schonungslos und eindrücklich lässt Daniela Dröscher ihr kindliches Alter Ego die Jahre, in denen sich dieses »Kammerspiel namens Familie« abspielte, noch einmal durchleben. Ihr gelingt ein ebenso berührender wie kluger Roman über subtile Gewalt, aber auch über Verantwortung und Fürsorge. Vor allem aber ist dies ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die nicht aufhört, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.
(Text & Cover: © KiWi; Foto: © N. Eppner)


"Lügen über meine Mutter" spielt in den 80er Jahren und ich fühle mich zurückversetzt in meine eigene Kindheit. Schockiert stelle ich fest, dass das Leben meiner eigenen Mutter dem der Protagonistin sehr ähnelt.

Die Mutter, die im Roman namenlos bleibt, ist verantwortlich für Alles, was im Haus geschieht. Für den Haushalt, das Essen, die Versorgung des Kindes, das Scheitern des Mannes, für ihre viel zu üppige Figur und die miese Finanzlage. Sie wird geschröpft wo es geht. Arbeitet sich rund und wund und genügt nie. Weder ihren Eltern, noch den Schwiegereltern und schon gar nicht dem eigenen Mann. An eine eigene Karriere ist nicht zu denken - was sollen auch die Leute sagen! Wenn dem nicht mal ein Verhltnis mit dem Chef zugrunde liegt - und wofür benötigt sie auch noch Freizeit? Die Lage spitzt sich zu, als die Care Arbeit sich durch die Pflege der eigenen Demenzkranken Mutter maximiert.

Daniela Droescher hat mich sehr berührt. In meinen Ohren klingen die Worte meiner eigenen Mutter, als sie vor meiner Hochzeit sagt:"Pass auf, dass es dir nicht so ergeht wie mir!" Ich dachte mir damals, dass mein Mann sicher kein Weiberheld sei, wie mein Vater (den ich sehr liebe und schätze, der aber trotzdem kein guter Ehemann war), doch erst heute verstehe ich, was sie tatsächlich meinte. Es ging ihr um die unfassbaren Ansprüche, die an Frauen gestellt werden. Anforderungen, die ein Mensch allein eigentlich gar nicht leisten kann, die aber geleistet werden. Solange bis der gesundheitliche Zusammenbruch kommt. Ohne Wertschätzung. Ohne gesehen zu werden. Mitunter sogar mit Abwertung. Mit einem in eine Opferrolle schieben, in der sie nie landen wollte. Weder meine Mutter, noch die der Protagonistin. Eine Frau mit Zielen und Plänen. Ohne große Ansprüche, sondern lediglich einem Wunsch nach Selbstbestimmtheit, nach Verantwortungsübernahme, nach eigenem Geld und eigener Meinung.

Es bedrückt mich sehr, dass ich das damals nicht erkannt habe. Als Kind ist das nicht zwangsläufig möglich, aber auch als Erwachsene bemerke ich erst seit ein paar Jahren in welche Strukturen wir Frauen, insbesondere dann, wenn wir Care Arbeit leisten, hineingespresst werden. Gefesselt werden. Wie sich mangelnde Wertschätzung über Generationen zieht, belastet und so wenig als strukturelles Problem angesehen wird, weil die meisten von uns darin festhängen. Selbst wir Frauen sehen nur selten über den Tellerrand, verurteilen, statt zu unterstützen.

Ich bin froh, dies heute zu erkennen. Dank Freundinnen, die sich ebenfalls nicht einsperren lassen, dank Autorinnen wie Daniela Dröscher, die Aufklärungsarbeit leisten mit Romanen wie "Lügen über meine Mutter". Fesselnd vom ersten Satz und so bedrückend, dass es mir kaum möglich ist, viel am Stück zu lesen. Und so unglaublich die Geschichte beim Lesen erscheint, bin ich mir sicher, dass wir alle mindestens eine Frau kennen, deren Realität tatsächlich so aussieht wie im Buch beschrieben.

Absolute Leseempfehlung für Droeschers "Lügen über meine Mutter". Für Alle! Auch diejenigen, die nicht wollen.

Buchinfo:

Hardcover mit Schutzumschlag
24,- €


Rezensionen: ©2022, Nanni Eppner

1 Kommentar:

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