Lieber Linus,
vielen Dank für deine offenen, berührenden, aber auch kritischen Worte.
In deinem Brief an Jonas schreibst du, dass es bei der Sexualität von Kindern um Ängste geht. Ja, das ist so. Das sehe ich als Mutter an mir genauso deutlich wie an anderen Eltern. Nicht nur in der Sexualität, sondern auch wenn es um die Anerkennung, die Akzeptanz des eigenen Kindes geht. Kaum etwas beschäftigt mich in meinem Mutter-sein mehr, als die Sorge, dass mein Kind nicht angenommen wird von anderen Menschen, insbesondere anderen Gleichaltrigen. Aber was passiert, wenn es von mir als Mutter nicht angenommen wird, nur, weil es nicht in gesellschaftlich hergestellte Schubladen passt?
Ich lebe in einer Kleinstadt, in der die katholische Kirche sehr präsent ist. In der nach alten Normen und vermeintlichen Werten gelebt und gehandelt wird. Es ist nicht mein Glaube, es engt mich ein, aber es ist etwas mit dem ich und meine Familie im Alltag konfrontiert werden. Mein erster Kontakt zu einer trans*Person warst du. Ich lese deine Worte schon sehr lange sehr gerne und konnte deinen Prozess der Transformation verfolgen. Was du tatsächlich dank so vieler Vorurteile und Ablehnung erleben musstest, welche Prozesse du erfüllen musstest, war mir nicht klar.
Vor deinem Coming-Out las ich "George" von Alex Gino, die Geschichte eines trans*Mädchen und schrieb in einem Gespräch darüber, dass ich mir für meine Kinder wünsche, dass sie das nicht durchmachen müssen, was damit einhergeht.
Das klingt hart, aber es sind genau die Dinge, die du beschreibst, lieber Linus, die du erlebt und die dich verletzt haben, die ich meinen Kindern ersparen wollte.
Aber ich weiß, dass das der falsche Weg ist. Wir sollten keine Angst davor haben müssen, dass unsere Kinder in der Gesellschaft abgelehnt werden. Wir sollten ihnen als Eltern Kraft und Mut mitgegeben können und vor allem sollten sie durch uns bedingungslose Akzeptanz erfahren. Begleitung bei der Identitätsfindung, einem Prozess, den jedes Kind durchlebt, und in dem es sich nicht schämen oder erniedrigt fühlen sollte, weil es in der Gesellschaft nicht mitgedacht oder nicht anerkannt wird.
Ich danke dir, dass du so unermüdlich Aufklärung betreibst, dass du dich für die Sichtbarmachung einsetzt und mir und uns allen dabei hilfst auch im eigenen Denken Urteilsfreier zu werden. Schubladen zu verlassen, in die wir sozialisiert wurden, und somit die Möglichkeit bekommen unseren Kindern eine stärkende Begleitung zu sein und selbst dafür sorgen zu können, dass Normen aufgebrochen und falsche Werte vermittelt werden.
Du hast mich sehr berührt mit deinen Worten. Erzeugst Reibung, indem du mir meine eigene Intoleranz im Denken spiegelst, aber erst durch Reibung entsteht Wachstum.
Ich wünsche mir, dass ich eine gute, eine bestärkende, eine kräftigende Begleitung für meine Kinder bin, ein sicherer Hafen, eine Unterstützung. Egal, welchen Weg sie gehen werden.
Liebe Grüße,
deine Nanni
Buchinfo:
Kjona (2023)
80 Seiten
Gebunden 18,00 €
Klimapositiver Druck
Text & Foto: ©2023, Nanni Eppner
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hallo,
schön, dass du hier her gefunden hast. Ich freue mich über deinen Kommentar.
Mit dem Absenden deines Kommentars gibst du dich einverstanden, die bestehenden Datenschutzbestimmungen (s. entsprechende Seite auf meinem Blog) zu akzeptieren.
Liebe Grüße,
Nanni