04.09.20

Ramona Blue | Julie Murphy




Ramona war erst fünf Jahre alt, als der Hurrikan Katrina ihr Leben für immer veränderte. Seitdem scheint es, als habe sich die Welt gegen sie und ihre Familie verschworen. Mit ihrer außergewöhnlichen Größe von 1,80 Metern und ihren unverwechselbaren blauen Haaren, sind für Ramona drei Dinge sicher: Sie mag Mädchen, sie ist der totale Familienmensch, und sie weiß, dass sie für etwas Größeres bestimmt ist als für ein Leben in dem Wohnwagen in Eulogy, Mississippi, den die Familie ihr zu Hause nennt. Ramona jongliert mit mehreren Jobs, ihrer exzentrischen, unzuverlässigen Mutter und ihrem gutmeinenden, aber überforderten Vater, und ist so gezwungen, die Erwachsene in der Familie zu sein. Jetzt, mit ihrer schwangeren Schwester Hattie, wiegt die Verantwortung schwerer als je zuvor.

Die Rückkehr ihres Jugendfreunds Freddie ist somit eine willkommene Ablenkung. Ramonas Freundschaft mit dem ehemaligen Wettkampfschwimmer geht genau da weiter, wo sie damals aufhörte, und bald hat er sie überredet, mit ihm im Becken ihre Bahnen zu ziehen. Als Ramona ihre Leidenschaft fürs Schwimmen entdeckt, beginnen sich auch, ihre Gefühle für Freddie zu verändern, was sie so gar nicht erwartet hätte. Mit ihrer wachsenden Zuneigung für Freddie, die ihre sexuelle Identität in Frage stellt, beginnt Ramona sich zu fragen, ob sie vielleicht Mädchen und Jungs mag oder ob diese neue Anziehung womöglich gar nichts damit zu tun hat. Auf jeden Fall wird Ramona erkennen, dass sich das Leben und die Liebe meist ähnlich anfühlen wie das Wasser, durch das sie ihre Bahnen zieht – fließend und veränderlich.
(Text & Cover: © S. Fischerverlage; Foto: © N. Eppner)


Obwohl ich Julie Murphys Debüt "Dumplin'" schon sehr mochte, konnte mich die in Texas lebende Autorin mit "Ramona Blue" überraschen. Mit einer großartigen Protagonistin hatte ich gerechnet. Dass sie so ein tiefes, intensives Setting bauen, dass sie so lässig über Homosexualität schreiben und mich mit einer sehr besonderen Liebesgeschichte, auf die ich mich zuerst gar nicht einlassen wollte, so sehr rühren würde, damit habe ich nicht gerechnet.

Ramonas kämpft mit den typischen Problemen eines jungen Mädchens, das irgendwie auf der Schwelle zwischen Teenager und erwachsen sein steht. Und gleichzeitig ist sie so wenig Stromlinienförmig und als Protagonistin abgedroschen, dass ich sie vom ersten Moment an in mein Herz schließe.

Ihr Alltag ist nicht gerade leicht. Sie hält sich mit diversen Jobs über Wasser, denn für Ausgaben wie Kleidung oder College, haben ihre Eltern kein Geld. Die leben getrennt, zur Mutter hat sie wenig Kontakt, zum Vater ein inniges Verhältnis. Gemeinsam mit ihm, ihrer Schwester Hattie und deren Wanzenartigem Freund Tyler, lebt sie in einem viel zu engen Trailer. Hurrikan Katrina hat ihr Elternhaus und die Ehe ihrer Eltern zerstört, Ramonas Leben für immer verändert.

Ramona leidet unter Liebeskummer. Was für sie wie eine Sommerromanze begann, fühlte sich zum Ende des Sommers nach großer Verliebtheit an. Für das andere Mädchen, das zum ersten Mal gleichgeschlechtlich geküsst hat, ist es eher kompliziert. Neben dem akuten Problem der Sehnsucht, trifft sie ein andere Belastung viel mehr. Sie leidet unter einer Verschiebung der Eltern-Kind-Fürsorge. Sie ist vernünftig, empathisch, verantwortungsbewusst. Übernimmt die Rolle der Mutter (und des Vaters), obwohl sie die Jüngste der Familie ist. 

"...aber der Gedanke, dass ich jemandes beste Freundin bin, erfüllt meine Brust mit Sommer."


Erst als Freddi, ihr Kumpel aus Kindertagen wieder auftaucht, und aus ehemaligen Spielereien eine Freundschaft erwächst, und beide gemeinsam zum Schwimmtraining gehen, hat Ramona das Gefühl ein bisschen Last abgeben zu können. Trotzdem bleibt sie das Mädchen aus der sozial schwachen Familie. Ohne Zukunft. Ohne Hoffnung. Mit einem Haufen verrückter Freunde und einem Riss im Herzen.

Murphy hat eine ganz wunderbare Geschichte geschrieben, die mich von der ersten Seite an gepackt und auf den letzten Seiten zu Tränen gerührt hat. Diese starke Protagonistin, die so viel Last auf ihren Schultern trägt und innerlich einfach ein Mädchen ist, das Erfahrungen sammeln, das etwas vom Leben sehen, lernen und geliebt werden möchte. Ich liebe dieses von Murphy geschaffene Konstrukt so sehr, dass ich "Ramona Blue" ganz unbedingt empfehlen möchte. 

Murphys Erzählton ist lässig, unaufgeregt, mit viel Tiefe und Herz und obwohl an einigen Stellen vorhersehbar ist, was passieren könnte, fühle ich mich nie in einem künstlich herbeigeführten Konstrukt, sondern immer im Gefühl, dass die Geschichte einfach so weitergehen muss, wie sie weitergeht. Weil das so sein muss. Weil das so sehr Ramona ist. Weil das passt und weil Murphy mit so viel Herz diese Geschichte geschrieben hat, dass ich auch mein Herz an "Ramona Blue", an den kompletten bunten und verrückten Haufen liebenswerter Figuren verloren habe.


Buchinfo:

400 Seiten
Gebundene Ausgabe 18,99 €
Übersetzung. KATTRIN STIER


Rezensionen: © 2020, Nanni Eppner

3 Kommentare:

  1. Das hört sich auf jeden Fall gut an. "Dumplin'" mochte ich auch, aber es hatte mich damals (glaube ich) nicht zu 100 Prozent überzeugt!

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    1. Ja, mir ging es ähnlich. Ich mochte es gerne, aber es ist kein Highlight für immer. "Ramona Blue" gefällt mir viel besser und ich bin mir ziemlich sicher, dass du es auch mögen wirst. Gerade auch wegen des Settings der Familie usw.

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  2. Prima! Dann wandert es mal direkt auf die viiiel zu lange Merkliste. Wahrscheinlich ist es dann zu Weihnachten mit auf meiner Wichtelwunschliste. :D

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