Die Dramatikerin Amma steht kurz vor dem Durchbruch. In ihrer ersten Inszenierung am Londoner National Theatre setzt sie sich mit ihrer Identität als schwarze, lesbische Frau auseinander. Ihre gute Freundin Shirley hingegen ist nach jahrzehntelanger Arbeit an unterfinanzierten Londoner Schulen ausgebrannt. Carole hat Shirley, ihrer ehemaligen Lehrerin, viel zu verdanken, sie arbeitet inzwischen als erfolgreiche Investmentbankerin. Caroles Mutter Bummi will ebenfalls auf eigenen Füßen stehen und gründet eine Reinigungsfirma. Sie ist in Nigeria in armen Verhältnissen aufgewachsen und hat ihrer Tochter Carole aus guten Gründen einen englischen Vornamen gegeben.
Auch wenn die Frauen, ihre Rollen und Lebensgeschichten in Bernardine Evaristos Mädchen, Frau etc. sehr unterschiedlich sind, ihre Entscheidungen, ihre Kämpfe, ihre Fragen stehen niemals nur für sich, sie alle erzählen von dem Wunsch, einen Platz in dieser Welt zu finden.(Text & Cover: © Klett Cotta; Foto: © N. Eppner)
Wenn ich nur einen Roman empfehlen könnte, den jeder Mensch, egal welchen Alters oder Geschlechts, lesen sollte, dann wäre es "Mädchen, Frau, etc."
Evaristo, die für ihren Roman als erste Schwarze Autorin mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, skizziert in "Mädchen, Frau, etc" verschiedene Lebenswege unterschiedlicher Frauen auf brutal ehrliche Weise. In offenen Worten und einem sehr eigensinnigem Schreibstil, der ganz ohne Kommata auskommt und in ein Prosohaftes Layout gedruckt wurde, drückt sie das aus, was Frauen, und ganz besonders Schwarzen Frauen, widerfährt.
Wir Frauen werden alle - und ja, das kann leider tatsächlich so verallgemeinert werden - mindestens einmal in unserem Leben Opfer der patriarchischen Gesellschaft. Sei es, indem wir durch veraltete Rollenbilder unter Druck gesetzt, in eine Opferrolle gedrängt oder nicht ernst genommen werden, sei es durch sexuelle Belästigung oder Missbrauch oder Diskriminierung. Evaristos Charaktere sind fast ausschließlich Schwarz. Sind einem nicht enden wollenden Rassismus ausgesetzt, der sich in kleinen Dingen des Alltags ebenso zeigt wie in offensichtlicher Diskriminierung. Ihre Geschichten reichen weit in die Vergangenheit und verbildlichen wie lächerlich lange an Denkmustern festgehalten wird.
Der Roman ist in verschiedene Abschnitte gegliedert. Jede weiblich genannte Figur hat ihre eigene Geschichte, die aber alle irgendwie irgendwo miteinander verknüpft sind. Menschen, die trotz vieler Risikofaktoren wie Gewalt, Diskriminierung, etc. , Resilienz aufbauen, ihrem Schicksal, ihren Neidern, ihren Widrigkeiten entgegen treten und ihr Leben selbstbestimmt in neue Bahnen lenken.
Ich glaube, ich habe lange keinen Roman mit solch einer Aufmerksamkeit, solch einer Genauigkeit gelesen. Obwohl mir viele der angesprochenen Themen bewusst sind, hat es mich immer wieder schockiert, womit wir als Frau, und ganz besonders als Schwarze Frau, kämpfen müssen, einzig, um einen ganz normalen Alltag führen zu können.
Ganz besonders wünsche ich mir, dass das Buch von den Männern gelesen wird, denen keinesfalls bewusst ist, was unsere Lebenswege so sehr unterscheidet und dass sie sich maßgeblich an Veränderung beteiligen müssen. Aber auch von Frauen, um ihnen zu zeigen, dass es Alltag vieler Frauen ist und genau deshalb nicht so bleiben darf. Dass es eine Möglichkeit zur Veränderung gibt. Um das Bewusstsein zu schärfen, um Frauen sichtbar zu machen, bedarf es Bücher wie "Mädchen, Frau, etc.". Große Leseempfehlung!
Buchinfo:
Klett-Cotta Tropen (2021)Hardcover 25,00 €
512 Seiten
Originaltitel: Women, Girl, other
Übersetzung: Tanja Handels
Rezensionen: © 2021, Nanni Eppner
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