26.09.21

Barbara stirbt nicht | Alina Bronsky





Herr Schmidt taut auf.

Walter Schmidt ist ein Mann alter Schule: Er hat die Rente erreicht, ohne zu wissen, wie man sich eine Tütensuppe macht und ohne jemals einen Staubsauger bedient zu haben. Schließlich war da immer seine Ehefrau Barbara. Doch die steht eines Morgens nicht mehr auf. Und von da an wird alles anders.

Mit bitterbösem Witz und großer Warmherzigkeit zugleich erzählt Alina Bronsky, wie sich der unnahbare Walter Schmidt am Ende seines Lebens plötzlich neu erfinden muss: als Pflegekraft, als Hausmann und fürsorglicher Partner, der er nie gewesen ist in all den gemeinsamen Jahren mit Barbara. Und natürlich geht nicht nur in der Küche alles schief. Doch dann entdeckt Walter den Fernsehkoch Medinski und dessen Facebook-Seite, auf der er schon bald nicht nur Schritt-für-Schritt-Anleitungen findet, sondern auch unverhofften Beistand. Nach und nach beginnt Walters raue Fassade zu bröckeln – und mit ihr die alten Gewissheiten über sein Leben und seine Familie.
(Text & Cover: ©KiWi; Foto: © N. Eppner)


Ich glaube, Alina Bronsky hat ein Buch über meine Großeltern geschrieben. Natürlich nicht, aber was sie über Walter und Barbara schreibt, ist genau das, was die Beziehungen dieser Generationen ausmacht. Themen, Werte, Verhaltensmuster, die nicht nur die Generation unserer Großeltern prägt, sondern auch die Generationen, die danach folgen. Die unserer Eltern, unsere eigene und wenn wir nicht aufpassen, auch die unserer Kinder.

Walter und Barbara sind schon lange verheiratet. Nach dem Krieg haben sie zueinander gefunden, obwohl die Barbara eigentlich von denen abstammt, vor denen Walter damals mit seiner Familie flüchtete. Für die Mutter erschütternd, weshalb sie und die Barbara nie so richtig zueinander fanden. Und das, obwohl sich er Walter so viel Mühe gegeben hat Barbara die Sprache richtig beizubringen. Und auch das Kochen. Deutsche Gerichte. Nicht dieses rote Bete Zeugs von denen.

Nun liegt Barbara im Bett und isst nicht richtig. Dabei weiß doch jeder, das man nur gesund wird, wenn man richtig isst. Also fängt Walter an zu kochen. Barbara ist ihm dabei keine gute Hilfe. Ihre Mengenangaben sind unpräzise, die Arbeitsschritte kann sie auch nicht detailliert beschreiben. Doch dann entdeckt Walter diesen Fernsehkoch und beginnt seine Rezepte nachzukochen. Mit dem Kochen kommt der Kontakt zu Barbara, zur Vergangenheit, zu seinen eigenen Kindern und zu anderen Menschen. Via Facebook.

Alina Bronsky ist ein ganz großartiges Generationenporträt gelungen. Klug und mit einem spitzfindigen Humor entwickelt sie die Figur Walter, die ich als Leserin mal liebe, mal am liebsten schütteln möchte. Seine Blick auf die Welt ist so engstirnig, konservativ und geprägt vom Nationalsozialismus, dass man ihn eigentlich nicht mögen kann. Aber auf der anderen Seite zeigt sich, dass er eigentlich ein gutes Herz hat und das alle seine Interaktionen geprägt sind von seiner eigenen Sozialisierung, aus der er nie herausgefunden hat. Nicht alles davon ist schlecht. Nicht sein Wunsch sich zu kümmern, nicht sein Wunsch nach Struktur und nicht der Wunsch danach, dass die Menschen, die er mag (nicht so viele) ebenfalls ein geordnetes Leben führen. Seine Herangehensweise jedoch...er schaut weder nach rechts, noch nach links, ist eingefahren in seinen Denkmustern und auch gar nicht bereit diese zu verändern. Die Wünsche seiner Familie nimmt er nicht mal ansatzweise wahr und versteht trotzdem nicht, warum da so viel aus dem Ruder läuft. 

Alina Bronsky hat mich sehr häufig zum Lachen gebracht und gleichzeitig ist der Verlauf von Walters Leben und das der Menschen, die er mit seinem Denken und Handeln geprägt hat, sehr traurig. Seine Geschichte ist wichtig für unsere Generation und die Generationen der Zukunft. Denn genau so läuft es in vielen Haushalten, in vielen Familien ab. 

Ich halte ihren Roman für sehr wichtig, um verständnisvoller mit uns selbst umzugehen. Um die Schatten der Vergangenheit in unserer Denkweise aufzudecken. Bronsky schafft Verständnis, ohne zu beschönigen, und öffnet einen Weg eigene Perspektiven zu wechseln und zu verändern. Eine ganz große Empfehlung für "Barbara stirbt nicht", das für mich eins der Highlights des Jahres ist.


Buchinfo:

Kiepenheuer&Witsch (2021)
256 Seiten
Hardcover 20,00 €


Rezensionen: ©2021, Nanni Eppner

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